A. Abschleppen aufgrund der polizeilichen Generalklausel

I. Tatbestand der Generalklausel

 

Rz. 1

Liegt das ein sofortiges Wegfahrgebot beinhaltende Verkehrszeichen nicht vor, so kann unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen landesrechtlichen polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel abgeschleppt werden. Dies setzt voraus, dass durch das Abstellen des Fahrzeugs eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder – soweit landesrechtlich vorgesehen – öffentliche Ordnung gegeben sein muss.

II. Tatbestandliche Voraussetzungen

 

Rz. 2

Die öffentliche Sicherheit umfasst und schützt:

den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen sowie den Bestand der sonstigen Träger von Hoheitsgewalt,
die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung,
die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen.
 

Rz. 3

Öffentlich ist diese Sicherheit nur dann, wenn an ihrer Erhaltung auch ein öffentliches Interesse besteht.[1]

 

Rz. 4

Eine Gefahr i.S.d. Generalklausel liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schutzgut i.S.d. öffentlichen Sicherheit oder – falls landesrechtlich vorgesehen – öffentlichen Ordnung schädigen wird.[2]

 

Rz. 5

Häufig wird nicht bloß eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen, sondern bereits eine eingetretene Störung, zu deren Beseitigung dann auf der Grundlage der Generalermächtigung geeignete Maßnahmen getroffen werden können. Ist das Kfz z.B. innerhalb eines wirksam angeordneten Haltverbots abgestellt, so stellt dies bereits einen Verstoß gegen geschriebenes Recht dar. Dies beinhaltet nicht bloß eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, sondern bereits eine eingetretene Störung, bei der abgeschleppt werden darf.[3]

 

Rz. 6

Alle drei oben benannten Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit können beim Abschleppen in Frage kommen:

[1] Haus/Wohlfarth, Rn 171 ff.
[2] Haus/Wohlfarth, Rn 213 ff.
[3] St. Rspr., vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.9.2008 – OVG 1 N 65.08; VG Berlin zfs 2011, 59.

III. Abschleppen aufgrund Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit

1. Schutz des Staates und seiner Einrichtungen

 

Rz. 7

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Polizei in Sicherheitsbereichen verbotswidrig abgestellte Fahrzeuge umsetzen kann.[4] Dazu gehört z.B. auch der Schutz der Einrichtung "Oberschule der Jüdischen Gemeinde Berlin" vor Terroranschlägen.[5] Das Abschleppen eines Kfz kann zum Schutz der Sicherheitsinteressen des BGS geboten sein. Dies ergibt sich daraus, dass die Gefahr von Anschlägen, des Ausspionierens u.Ä. durch ein im Bereich einer Sicherheitszone parkendes Kfz erhöht wird.[6]

 

Rz. 8

Denkbar im Zusammenhang mit dem "Schutz des Staates und seiner Einrichtungen" ist auch ein Abschleppen, um einen störungsfreien Verkehrsfluss auf einer Hochwasserumgehungsstraße zu gewährleisten.[7]

[4] OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.11.2008 – OVG 1 N 77.08; VG Berlin zfs 2011, 59.
[5] VG Berlin zfs 2011, 59.
[6] VG Koblenz zfs 1997, 40.
[7] VG Saarland zfs 1993, 215.

2. Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung

 

Rz. 9

Hierzu gehören zunächst die ein bestimmtes Handeln gebietenden oder verbietenden Normen der StVO, wie z.B. das gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO ordnungswidrige Parken auf einem Radweg.[8] Hierhin gehört auch das Abstellen eines Kfz innerhalb eines wirksam angeordneten Haltverbotsbereichs.[9]

 

Rz. 10

Das Abstellen eines Kfz, dessen Zustand den Vorschriften der StVO oder der StVZO widerspricht, stellt einen Verstoß gegen § 16 StVZO dar und begründet als Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit.[10]

 

Rz. 11

Stellt die Polizei fest, dass ein Fahrzeug nicht verkehrsbehindernd, aber mit abgefahrenen Vorderreifen (also ganz allgemein in nicht vorschriftsmäßigem Zustand) im Straßenraum abgestellt ist, so ist sie allein deshalb noch nicht ermächtigt, einen Pkw aufgrund des Polizeigesetzes abschleppen zu lassen. Maßgebend sind hier §§ 36 Abs. 2, 17 Abs. 1 StVZO, die als spezialgesetzliche Regelungen einen Rückgriff auf das Polizeigesetz ausschließen.[11] Auch eine Sicherstellung aufgrund Polizeirechts (vgl. § 21 ME PolG) kommt dann mit Blick auf die Spezialität des § 17 StVZO nicht in Betracht.

 

Rz. 12

Nach landesrechtlichen Straßen- und Wegegesetzen kann die zuständige Behörde in dem Fall, in dem eine Straße über den Gemeingebrauch hinaus und ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis benutzt wird oder dass der Erlaubnisnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Benutzung anordnen. Sind solche Anordnungen gegenüber dem Pflichtigen nicht erfolgversprechend, so kann die Behörde den rechtswidrigen Zustand auf Kosten des Pflichtigen beseitigen lassen.[12] Danach ist auch das Abschleppen eines Fahrzeugs bei unerlaubter Sondernutzung auf öffentlichem Straßengrund möglich (vgl. im Einzelnen § 53 Rdn 28 f.).[13] Stellen sie Hindernisse i.S.d. § 32 StVO dar, so kommt auch diese Vorschrift in Betracht,[14] wobei dort die polizeiliche Befugnis insbesondere aufgrund der Generalklausel unberührt bleibt.[15]

 

Rz. 13

Wird ein Fahrzeug, das von Amts wegen außer Betrieb gesetzt worden war, nachdem es den Haftpflichtversicherungsschutz verloren hatte (vgl. § 25 FZV), danach im öffe...

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