Achtung: Straftat – auch wenn die Feststellungen nachträglich ermöglicht werden

Ein Unfallbeteiligter, der vor Ablauf der angemessenen Wartezeit den Unfallort verlässt, macht sich grundsätzlich auch dann strafbar, wenn er die notwendigen Feststellungen unverzüglich nachträglich ermöglicht (OLG Koblenz NZV 1996, 324).

Dies kann bei leichten Unfällen auf Autobahnen, die lediglich einen Leitplankenschaden zur Folge haben, anders zu beurteilen sein, denn gemäß § 18 Abs. 8 StVO gilt auf Autobahnen ein Anhalteverbot, so dass der Betreffende im Hinblick auf die bestehende Pflichtenkollision möglicherweise bis zur nächsten Anhaltemöglichkeit weiter fahren darf (OLG Dresden zfs 2019, 93; OLG Celle zfs 2019, 339).[1]

[1] Mitsch, NZV 2010, 245.

a) Kein aktives Tun

 

Rz. 7

Der Unfallverursacher hat lediglich eine passive Feststellungsduldungspflicht. Diese Pflicht erfüllt er zunächst durch bloßes Warten am Unfallort.

 

Rz. 8

Befinden sich weder der Geschädigte noch sonstige feststellungsbereite Personen am Unfallort, ist der Schädiger nicht verpflichtet, von sich aus Feststellungsinteressenten, wie etwa Hausbewohner, Nachbarn etc., aufzusuchen (OLG Stuttgart VRS 73, 191), er braucht nicht mehr zu tun, als zu warten.

 

Rz. 9

Sind nach einer angemessenen Wartefrist keine feststellungsbereiten Personen erschienen, darf der Unfallbeteiligte den Unfallort verlassen.

b) Wartezeit

aa) Situationsabhängig

 

Rz. 10

Die angemessene Wartezeit bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei neben den Unfallfolgen auch die Tageszeit, Witterung, Verkehrsdichte, die eigenen Interessen des Täters am Verlassen des Unfallortes, auch etwaige von ihm ergriffene Maßnahmen zur Sicherung der Feststellung und auch die Schadenshöhe eine Rolle spielen (OLG Zweibrücken VRS 82, 217; OLG Köln zfs 2001, 330).

 

Rz. 11

Von wesentlicher Bedeutung ist auch die Frage, ob der Unfallfahrer mit einem baldigen Erscheinen Dritter rechnen kann. Die Wartepflicht wird sich deshalb tagsüber anders als nachts und bei Unfällen im großstädtischen Bereich anders als bei solchen auf einsamen Landstraßen darstellen.

 

Rz. 12

 

Achtung: Schwere Verletzungen

Bei schwereren Personenschäden oder gar Tod ist die zumutbare Wartezeit deutlich länger als bei reinen Sachschäden und wird eine Stunde kaum unterschreiten (LG Zweibrücken zfs 1998, 72; BGH VRS 38, 327).

Hat sich der verletzte Unfallgegner (berechtigt) lediglich entfernt, um sich ärztlich behandeln zu lassen, wird die Wartezeit des zurückbleibenden gleichfalls länger sein. 15 Minuten reichen dann jedenfalls nicht (OLG Köln zfs 1982, 283).

bb) Beispiele aus der Rechtsprechung

 

Rz. 13

Bei Schäden von 200 EUR bis 250 EUR reichen 10–15 Minuten (OLG Köln zfs 2001, 330; NZV 2002, 276), bei mittleren Schäden 20 Minuten (OLG Saarbrücken VRS 46, 187; OLG Stuttgart VRS 73, 192; BayObLG DAR 1980, 264).

 

Rz. 14

Dies gilt jedenfalls bei einem nächtlichen (OLG Zweibrücken DAR 1992, 30) oder großstädtischen Unfall (BayObLG VRS 64, 190) oder bei Schäden an Leitplanken (OLG Karlsruhe DAR 2003, 38).

 

Rz. 15

 

Achtung

Vereinzelt wird bei mittlerem oder erheblichem Sachschaden eine Wartezeit von mindestens 30 Minuten verlangt (OLG Düsseldorf VRS 54, 41; BayObLG bei Rüth, DAR 1985, 241; BayObLG VRS 52, 348). Einige (meist ältere) Entscheidungen verlangen gar eine Wartezeit von 45 Minuten (OLG Karlsruhe zfs 1982, 317).

c) Visitenkarte

 

Rz. 16

Auch dann, wenn der Schädiger – für sich nicht ausreichende – Maßnahmen getroffen hat und die weiteren Feststellungen später ermöglichen will, entfällt die Wartezeit nicht grundsätzlich (OLG Koblenz VRS 53, 110).

 

Rz. 17

Das Hinterlassen einer Visitenkarte kann allenfalls bei Bagatellschäden an geparkten Fahrzeugen ausreichen (BayObLG VRS 38, 437). Ansonsten kann es die Wartezeit nicht gänzlich entfallen lassen, sie aber doch erheblich verkürzen (BayObLG bei Bär, DAR 1991, 366). Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Täter, der jetzt (nachweislich) seine Visitenkarte zurückgelassen hat, meist in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum gehandelt hat (OLG Zweibrücken zfs 1990, 392).

d) Nicht nur die reine Wartezeit zählt

 

Rz. 18

In die Frist wird die Zeit eingerechnet, in der der Schädiger – aus welchen Gründen auch immer – an der Unfallstelle verbleibt (OLG Hamm VM 67, 4). Einzubeziehen ist somit stets auch die Suchzeit nach anderen Geschädigten oder Unfallbeteiligten (OLG Köln zfs 1983, 29).

 

Rz. 19

Es zählt sogar die Zeit, die der Unfallfahrer braucht, um die Fahrbereitschaft des eigenen Fahrzeuges wiederherzustellen, mag er auch dadurch lediglich die Flucht vorbereiten (BayObLG VRS 72, 363, 364; OLG Köln NZV 2002, 276).

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