Rz. 146

Die grundsätzliche Privilegierung in Art. 6 Abs. 1 lit b) DSGVO erscheint logisch und ohne größere Schwierigkeiten nachvollziehbar: Wer beispielsweise aus einem Kaufvertrag heraus verpflichtet ist, eine bestimmte Sache an seinen Vertragspartner zu liefern, muss in der Lage sein, neben dem Namen seines Vertragspartners auch die Lieferanschrift zu ermitteln. Umgekehrt muss es für den Kunden möglich und zulässig sein, die Bankverbindungsdaten seines Geschäftspartners zum Zwecke der Zahlungsabwicklung zu erheben. Die vorbeschriebenen Erhebungsvorgänge "dienen" mithin der Zweckbestimmung des geschlossenen (Kauf-)Vertrages. Nur selten werden sich hierzu gesonderte Regelungen in den Vertragswerken finden. Dies sucht Art. 6 Abs. 1 lit. b) DSGVO auszugleichen.

 

Rz. 147

Die Problematik, die der "Erleichterungsvorschrift" innewohnt, geht einher mit der doch recht weit gefassten Anforderung, dass die Datenverarbeitung für die Erfüllung oder Durchführung des Vertragsverhältnisses oder einer Vertragsanbahnung "erforderlich" sein muss. Der Verwaltungsjurist erinnert sich an die Diskussion im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Grundrechtseingriffen. Diejenigen von Ihnen, die nicht erst an dieser Stelle mit dem Lesen des Buches angefangen haben, erinnern sich an den Grundsatz der Datensparsamkeit, wonach Daten nicht auf Vorrat erhoben werden dürfen.

 

Rz. 148

Was im datenschutzrechtlichen Sinne erforderlich ist, ist – wie im Rahmen einer jeden Erforderlichkeitsprüfung – eine (Wertungs-)Frage des Einzelfalles. Erforderlich ist dabei "kein Synonym für "unverzichtbar", und es besitzt auch nicht die Flexibilität von Ausdrücken wie "zulässig", "gewöhnlich", "nützlich", "vernünftig" oder "wünschenswert"."[167] In einer aktuellen Entscheidung führt der EuGH[168] aus, dass "zur Voraussetzung der Erforderlichkeit der Verarbeitung […] festzustellen [ist], dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen." Ist die Speicherung des Geburtsdatums des Kunden vor diesem Hintergrund erforderlich, weil der Verkäufer seinen Kunden auch im "nachvertraglichen Schuldverhältnis" Glückwünsche übermitteln möchte, um auf diese Weise den Geschäftskontakt nicht einschlafen zu lassen? Der Verkäufer wird sicherlich einige Argumente für die "Erforderlichkeit" finden, ebensolche lassen sich jedoch auch dagegen anführen.

 

Rz. 149

Der Autor dieses Werkes ist der Ansicht, dass es an einer "Erforderlichkeit" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 lit b) DSGVO fehlt; ebenso dürften auch die Vertreter der bislang vorherrschenden Meinung entscheiden.[169] Denn die Zweckbestimmung des konkreten Vertrages liegt in der Lieferung einer bestimmten Ware oder der Erbringung einer bestimmten Dienstleistung und nicht darin, eine dauerhafte Geschäftsbeziehung zu begründen. Anders ist zu beurteilen, wenn Gegenstand des Vertrages z.B. ein Glücksspielprodukt oder Tabak und/oder Alkohol sind. In diesem Fall "dient" die Erhebung des Geburtsdatums der Sicherstellung bestehender Verkaufsverbote an Minderjährige und ist für die Durchführung des Vertrages erforderlich.[170] Die Zweckbestimmung des Vertrages limitiert damit gleichsam die durch sie legitimierte Datenerhebung.

 

Rz. 150

Für § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG ist angenommen worden,[171] dass die Speicherung und nachfolgende Verwendung der Daten nur dann legitimiert sei, wenn die Daten "zur Erfüllung der Pflichten aus dem Vertragsverhältnis oder zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Vertrag gespeichert werden müssen". Im Stadium vor Abschluss eines Schuldverhältnisses ist nur die Datenverarbeitung solcher Daten zulässig, die für die Entscheidung zur Vertragsbegründung erforderlich sind. Nach Vertragsdurchführung ist die weitere Datenspeicherung notwendig, wenn die Geltendmachung von Gewährleistungsrechten möglich ist.[172] Auch bedeutet der Umstand, dass eine gewisse Datenverarbeitung durch einen Vertrag abgedeckt ist, nicht automatisch, dass die Verarbeitung für dessen Erfüllung "erforderlich" ist.[173] Insoweit spielt hier der Zweckbindungsgrundsatz[174] eine entscheidende Rolle. Es besteht eine klare Verbindung zwischen der Abwägung der Notwendigkeit und der Einhaltung des Grundsatzes der Zweckbindung.[175]

Zitat

"Es kommt darauf an, die genauen Beweggründe des Vertrags zu bestimmen, d.h. dessen Inhalt und grundlegende Zielstellung, denn gegen sie wird die Prüfung der Ausgewogenheit der Interessen erfolgen, ob die Datenverarbeitung zur Vertragserfüllung erforderlich ist."[176]

 

Rz. 151

Die Erforderlichkeit soll nicht auf "alle sonstigen Maßnahmen, die durch eine Nichterfüllung ausgelöst werden, oder auf alle anderen Vorkommnisse bei der Erfüllung eines Vertrags" Anwendung finden, sondern nur "die normale Erfüllung eines Vertrags" umfassen. Die Art. 29-Datenschutzgruppe[177] konkretisiert dies wie folgt:

Zitat

"Kommt es bei der Vertragserfüllung zu einem Vorkommnis, das Auslöser eines Konflikts ist, so kann die Verarbeitung der Daten einen ander...

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