Rz. 12

Wie bereits erwähnt, muss bei der Erstellung einer Verfügung von Todes wegen zunächst immer geprüft werden, ob der spätere Erblasser überhaupt noch letztwillig verfügen darf, sprich testierfrei ist. Unter Testierfreiheit versteht man die Fähigkeit und Berechtigung, frei zu bestimmen, an welche Personen mit Eintritt des Erbfalles der Nachlass fallen soll. Die Testierfreiheit unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und stellt eines der Grundprinzipien und unantastbaren Wesensgehalte des Erbrechts dar.[7]

 

Rz. 13

Die Testierfreiheit gilt allerdings nicht schrankenlos. Sie wird ihrerseits begrenzt durch die wiederum verfassungsrechtlich geschützte Mindestteilhabe am Nachlass (dem Pflichtteil)[8] und durch die Bindungswirkung früherer gemeinschaftlicher Testamente (§§ 2265 ff. BGB) und Erbverträge (§§ 2274 ff. BGB). In den letzten beiden Fällen hat der Erblasser gleichsam selbst auf seine Testierfreiheit verzichtet, in dem er in einer der vorgenannten Verfügungen von Todes wegen für sich frei entschieden hat, sich erbrechtlich binden zu wollen. Der Erbvertragspartner bzw. der Ehegatte (eingetragene Lebenspartner) darf dann darauf vertrauen, dass die einst getroffenen Regelungen wechselbezüglich und bindend sind. Die Neuerrichtung einer letztwilligen Verfügung ist hier nicht mehr ohne weiteres möglich. Ausgenommen sind testamentarische (erbvertragliche) Öffnungs- oder Rücktrittsklauseln und die Möglichkeit eines Widerrufs zu Lebzeiten nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB (notariell beurkundeter Widerruf in Form einer empfangsbedürftigen Willenserklärung).

 

Rz. 14

Personen, die nicht lesen oder schreiben können, sind ebenfalls in ihrer Testierfreiheit eingeschränkt: Sie können kein eigenhändiges Testament errichten. Ihnen steht allerdings die Möglichkeit der Testamentserrichtung durch mündliche Erklärung vor einem Notar offen, § 2233 Abs. 2 BGB. Gegebenenfalls muss beim Verlesen ein zweiter Notar oder ein Zeuge hinzugezogen werden, § 25 BeurkG.

 

Rz. 15

Abzugrenzen von der Testierfreiheit sind Fragen der Testierfähigkeit. Die Testierfähigkeit stellt einen Unterfall der Geschäftsfähigkeit dar.[9] Unter Testierfähigkeit versteht man die Befähigung, eine Verfügung von Todes wegen rechtswirksam zu errichten, zu ändern oder aufzuheben. Eine eingeschränkte oder partielle Testierfähigkeit gibt es nicht.[10] Umgekehrt kann allerdings bei einem Testierunfähigen ein lichter Moment (sog. "lucidum intervallum") vorliegen. In einem solchen Fall geht man davon aus, dass grundsätzlich Testierunfähigkeit vorliegt, die Verfügung von Todes wegen aber wirksam ist, wobei die Beweislast zu Lasten desjenigen geht, der sich auf den lichten Moment beruft.[11]

 

Rz. 16

Schranken der Testierfähigkeit gelten in Bezug auf minderjährige Erblasser. Personen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, können generell kein Testament errichten, § 2229 Abs. 1 BGB. Personen, die zwar das 16. Lebensjahr vollendet haben, aber noch nicht volljährig sind, bedürfen der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters und können lediglich ein öffentliches Testament errichten, §§ 2233 Abs. 1, 2247 Abs. 4, 2249 Abs. 1, 2250 Abs. 1 BGB. Die Errichtung eines privatschriftlichen Testaments ist diesen Personen verwehrt.

 

Rz. 17

Testierunfähig sind darüber hinaus Personen, die an Geistes- oder Bewusstseinsstörungen leiden, die ihnen eine tatsächliche Einsicht über die Folgen oder die Tragweite ihrer Entscheidung unmöglich machen, § 2229 Abs. 4 BGB.

 

Hinweis

Personen, die einem rechtlichen Betreuer unterstehen, sind nicht automatisch testierunfähig.[12]

 

Praxistipp

Bei Zweifeln über die Testierfähigkeit sollte vor der Errichtung einer letztwilligen Verfügung ein psychologisch-neurologisches Gutachten von einem Facharzt eingeholt werden, das die Testierfähigkeit bestätigt.

[7] BVerfG NJW 1995, 2977.
[8] BGHZ 98, 226; BGHZ 109, 306; Haas, ZEV 2000, 249 ff.
[9] BayObLG FamRZ 1994, 593 f.
[10] BGH NJW 1953, 1342; BGHZ 30, 112, 117; Staudinger/Baumann, § 2229 Rn 12.
[11] BGH BGHZ 30, 294; Wetterling/Neubauer/Neubauer, ZEV 1995, 45 ff.
[12] BayObLG FamRZ 1994, 593.

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