A. Der Anspruch auf Herausgabe eines Kindes nach § 1632 Abs. 1 BGB sowie die Umgangsbestimmung nach § 1632 Abs. 2 BGB

I. Allgemeines

 

Rz. 1

Aus § 1632 Abs. 1 BGB folgt das – aus der Personensorge abgeleitete – Recht, von jedem die Herausgabe des Kindeszu verlangen, der es den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält (Antragsmuster im Formularteil, siehe § 13 Rdn 41 f. sowie Rdn 59 f.).[1] Dieses Recht folgt unmittelbar aus der Befugnis des Sorgeberechtigten, den Aufenthalt des Kindes gemäß § 1631 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Es handelt sich hierbei um ein absolutes Recht, dessen Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB zur Folge haben kann.[2] Zutreffender Auffassung zufolge umfasst § 1632 Abs. 1 auch den (Annex-)Anspruch auf Herausgabe der zum persönlichen Gebrauch bestimmten Sachen eines Kindes (vgl. auch § 156 Abs. 6 GVGA).[3]

 

Rz. 2

Neben dem Anspruch auf Herausgabe des Kindes statuiert § 1632 Abs. 2 BGB das Recht, den Umgang des Kindes auch mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen.

[1] BayObLG FamRZ 1990, 1379; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.5.2010 – 9 UF 32/10 (n.v.).
[2] BGHZ 111, 168; OLG Nürnberg FamRZ 2000, 369.
[3] Götz, FamRZ 2016, 519 m.z.w.N.; a.A. OLG Nürnberg FamRZ 2016, 563 (§§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB analog).

II. Materiell-rechtliche Voraussetzungen des § 1632 Abs. 1 BGB

1. Anspruchsberechtigung

 

Rz. 3

Anspruchsinhaber sind die Personensorgeberechtigten, d.h. in der Regel die Eltern gemeinsam oder ein Elternteil, soweit diesem die Alleinsorge[4] oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht.[5] § 1632 Abs. 1 BGB findet aber auch dann Anwendung, wenn die Eltern über den Aufenthalt des Kindes eine verbindliche Vereinbarung geschlossen haben, ein Elternteil hiervon jedoch eigenmächtig abgewichen ist.[6] Da der Herausgabeanspruch der Personensorgeberechtigung folgt, steht er gemäß §§ 1793 Abs. 1 S. 1, 1800 BGB auch dem Vormund des Kindes[7] sowie einem Pfleger im Rahmen dessen Aufenthaltsbestimmungsrechts gemäß §§ 1909 Abs. 1 S. 1, 1915 BGB zu. Der Antragsteller muss nicht selbst vertretungsberechtigt im Sinne des § 1629 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB sein; auch die Vermögenssorge ist für den Anspruch nach § 1632 Abs. 1 BGB unbedeutend.[8]

 

Rz. 4

Die Eltern eines nichtehelich geborenen Kindes können die Herausgabe des Kindes nur dann gemeinsam verlangen, wenn sie zuvor unter den Voraussetzungen des § 1626a Abs. 1 BGB die gemeinsame Sorge herbeigeführt haben.

 

Rz. 5

Wurde einem Elternteil bereits die Personensorge oder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen, etwa nach § 1666 BGB, ist sein Herausgabeverlangen unberechtigt.

 

Rz. 6

Bei Bestehen gemeinsamer elterlicher Sorge müssen gegenüber einem Dritten grundsätzlich beide Elternteile die Herausgabe des Kindes an beide Elternteile verlangen, es sei denn, es besteht Gefahr im Verzug. Ist in diesem Fall ein Elternteil zur Mitwirkung nicht bereit, so kann der antragstellende Elternteil allein die Herausgabe an sich verlangen. Bei Widerspruch des anderen Elternteils wird ein gerichtlich gestellter Herausgabeantrag jedoch abgewiesen.[9] In diesem Fall muss das Familiengericht eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeiführen und einem Elternteil das Alleinentscheidungsrecht über die Herausgabe des Kindes übertragen.[10]

 

Rz. 7

Ist das Kind nach einer Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII (dazu aus jugendhilferechtlicher Sicht, siehe § 12 Rdn 107 ff.) beim nicht sorgeberechtigten Elternteil untergebracht, so setzt sich diesem gegenüber ein Anspruch des Sorgerechtsinhabers auf Kindesherausgabe nicht durch, da dem Jugendamt aus öffentlichem Recht die Befugnis zusteht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen,[11] die Inobhutnahme also das Sorgerecht überlagert.

 

Rz. 8

Da der Anspruch auf Herausgabe dem Sorgerecht entspringt, kann er freilich auch ohne gerichtliches Verfahren vollzogen werden, sofern der Herausgabepflichtige – sei es der andere Elternteil, sei es ein Dritter – sich dem Herausgabeverlangen freiwillig beugt. Dies wird häufig bei Dritten – etwa dem Kindergarten oder der Schule des Kindes – der Fall sein. Will der andere, nicht sorgeberechtigte Elternteil verhindern, dass Dritte das Kind an den die Herausgabe begehrenden Elternteil übergeben, muss er eine entsprechende einstweilige Anordnung zum Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind erwirken. Beruht das Herausgabeverlangen auf einer soeben erlassenen erstinstanzlichen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht, so muss der andere Elternteil, um eine freiwillige Herausgabe durch Dritte zu verhindern, gegen die sorgerechtliche Entscheidung Beschwerde einlegen und diese mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 64 Abs. 3 FamFG verbinden (siehe dazu § 9 Rdn 15). Zwar haben Sorgerechtsentscheidungen, da sie die Rechtslage nur gestalten, keinen vollstreckungsfähigen Inhalt;[12] dies hindert indes nicht die freiwillige Erfüllung des auf der Grundlage des Aufenthaltsbestimmungsrechts rechtmäßig geltend gemachten Herausgabeverlangens durch Dritte.

 

Rz. 9

Wird das Kind dem die Herausgabe verlangenden Elternteil nicht freiwillig übergeben, so bleibt diesem nur der Weg, seinen Herausgabeanspruch gerichtlich geltend zu machen. Wird der Herausgabeanspruch in diesem Verfahren tituliert, so wird diese...

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