Rz. 174

Zweifel bei der Auslegung von (auch kollektiv ausgehandelten bzw. behördlich empfohlenen oder genehmigten)[550] Allgemeinen Geschäftsbedingungen (d.h. tatsächliche, auch nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden fortbestehende Unklarheiten [nicht behebbare Mehrdeutigkeiten] einer Klausel)[551] unter Zugrundelegung eines objektivierten Beurteilungsmaßstabs (einheitliche Auslegung einer Klausel nach ihrem objektiv-typischen Sinn[552] – nach dem Verständnishorizont eines redlichen und durchschnittlichen Vertragspartners[553] [Kunden], d.h. eines durchschnittlichen Kunden des betreffenden Geschäftszweiges) gehen nach § 305 lit. c Abs. 2 BGB (in Umsetzung von Art. 5 S. 2 der Klausel-Richtlinie[554]) zulasten des Verwenders (Unklarheitenregel[555]). Es ist Sache des Verwenders, sich zweifelsfrei (klar und unmissverständlich) auszudrücken, da er für sich die Vorteile der Vertragsgestaltung in Anspruch nimmt.[556] § 305 lit. c Abs. 2 BGB gebietet also eine generell-abstrakte Auslegung – wobei jedoch zuvor festgestellt werden muss, ob eine in Rede stehende Klausel auch von beiden Parteien in einem bestimmten Sinne verstanden wird, da nur dann "der so ermittelte – übereinstimmende – konkrete Parteiwille der generell abstrakten Auslegung vorgeht".[557]

Vgl. auch zur Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung in einem Stromlieferungsvertrag über die Gewährung eines sog. "Aktionsbonus für Neukunden".[558]

Bei der Auslegung von Genussscheinbedingungen findet nach Ansicht des OLG München[559] die Unklarheitenregel des § 305 lit. c Abs. 2 BGB auch dann – jedenfalls entsprechende – Anwendung, wenn die Genussscheine im Wege einer sog. Fremdemission ausgegeben werden.

Führt die objektive Auslegung der Genussscheinbedingungen auch unter Berücksichtigung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist die Unklarheitenregelung des § 305 lit. c Abs. 2 BGB anzuwenden.[560]

§ 305c Abs. 2 BGB gilt auch im Verkehr zwischen Unternehmern (vgl. § 310 Abs. 1 BGB).[561]

Das BAG[562] hat festgestellt, dass ausgehend davon, eine Betriebsvereinbarung wäre ihrerseits auslegungsbedürftig und bei ihrer Auslegung würden letztlich Unklarheiten verbleiben, dies nicht dazu führt, dass eine Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag ihrerseits unklar wäre und deshalb Zweifel bei ihrer Auslegung nach § 305 lit. c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders gingen. Eine eventuelle Unklarheit des in Bezug genommenen Regelwerks wirke sich nicht auf die Bezugnahmeklausel selbst aus.[563]

Die AGB-Freiwilligkeitsvorbehaltsklausel – "Die Zahlung des Bonus bzw. Zuteilung eines Deferal Awards erfolgt freiwillig und kann auch nach wiederholter Gewährung nicht zu einer Verpflichtung der Gesellschaft zur Fortsetzung derartiger Zahlungen bzw. Zuteilungen führen" – ist "unklar" i.S.v. § 305 lit. c Abs. 2 BGB.[564] Sie könne zum einen nämlich so verstanden werden, dass hierdurch generell ein Anspruch für die Zukunft ausgeschlossen werden soll, denkbar sei aber auch, sie so zu verstehen, dass sie den Rechtsgedanken des § 315 BGB wiedergibt und damit auch eine wiederholte Leistungsgewährung nicht ohne Weiteres zur Fortsetzung "derartiger", d.h. nach Höhe und Art gleichartiger Leistungen wie in der Vergangenheit, führen soll. Ein solches Klauselverständnis stünde der Annahme eines dem Grunde nach bestehenden dauerhaften Anspruchs nicht entgegen. Da gemäß § 305 lit. c Abs. 2 BGB Zweifel bei der Auslegung zulasten des Verwenders gehen, sei die letztgenannte Auslegung maßgeblich.[565]

 

Rz. 175

Die Regelung kann analog angewendet werden auf Einzelvertragsbedingungen, die von einem wirtschaftlich Überlegenen konzipiert worden sind.[566]

Ausgangspunkt für eine am objektiven Willen im Rahmen einer generell-typisierenden Auslegung[567] (überindividuelle Bezugnahme, die fernliegende Auslegungsmöglichkeiten außer Betracht lässt)[568] festzumachende Auslegung ist

immer erst der Wortlaut des Vertragstextes aus der Sicht typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligter Verkehrskreise (i.S.d. Vertragswillens verständiger und redlicher Vertragspartner unter Berücksichtigung des von ihnen verfolgten Vertragszwecks).[569]
Alsdann orientiert sich die Auslegung an dem von der Klausel redlicherweise verfolgten Sinn und Zweck,[570] wobei es nicht auf das individuelle Auslegungsergebnis als solches im Einzelfall ankommt,[571] sondern auf das Auslegungsergebnis, das sich als allgemeine Lösung eines immer wiederholenden Interessengegensatzes zwischen Verwender und Kunde darstellen muss.[572]
Erst wenn auch dann noch Zweifel verbleiben, gelangt § 305 lit. c Abs. 2 BGB zur Anwendung, mit der Folge, dass Zweifel zulasten des Verwenders gehen.
 

Rz. 176

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Norm ist also zweierlei:[573] Die Einbeziehung darf zum einen nicht schon an § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB (Unverständlichkeit) scheitern.[574] Zum anderen muss die durch eine objektive Auslegung der Klausel (nicht ihrer Begleitumstände)[575] nicht behebbare Mehrdeutigk...

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