Rz. 36

Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der des Kündigungszugangs.[51] Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der betriebsbedingte Kündigungsgrund, somit der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit, schon vorliegen. Der Arbeitgeber soll aber nach dem BAG nicht erst kündigen können, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nicht mehr zur Verfügung steht. Das BAG lässt wegen der Zukunftsbezogenheit der Kündigung und aus Gründen der Praktikabilität eine negative Prognose ausreichen. Danach kommt es darauf an, dass der Arbeitgeber darlegt und ggf. beweisen kann, dass er zu dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung aufgrund der vorherigen ernstlichen und endgültigen unternehmerischen Organisationsentscheidung eine hinreichend gesicherte, objektiv nachvollziehbare Tatsachengrundlage für die Prognose hatte, dass spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr besteht.[52]

Es sei nach dem BAG ausreichend, dass beim Kündigungszugang die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die Maßnahme vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sei und sich die künftige Entwicklung schon konkret und greifbar abzeichne.[53]

 

Rz. 37

 

Hinweis

Hier ist es am Arbeitnehmer und seinem Vertreter in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat zu überprüfen, ob und inwieweit die Prognose des Arbeitgebers ernsthaft und belastbar durchgeführt wird. So kann nach Zugang der Kündigungserklärung das tatsächliche Vorgehen des Arbeitgebers im Hinblick die behauptete Unternehmerentscheidung widersprüchlich und nicht tragfähig sein.

 

Rz. 38

 

Hinweis: Wiedereinstellungsanspruch

Ist die Unternehmerentscheidung von vornherein nicht tragfähig, dann ist die Kündigung aus diesem Grund unwirksam.[54]

Ist die Prognose des Arbeitgebers an sich zutreffend gewesen, aber die Umstände ändern sich nach Zugang der Kündigungserklärung und aus diesem Grund erweist sich die Prognose als falsch, dann ist die Kündigung nicht unwirksam.[55] Der Arbeitgeber ist nach der Rechtsprechung des BAG aus arbeitsvertraglicher Nebenpflicht gemäß § 242 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer den Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags anzubieten bzw. das entsprechende Angebot des Arbeitnehmers anzunehmen, wenn sich eine zunächst noch nicht prognostizierte Beschäftigungsmöglichkeit noch vor Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah ergibt.[56]

Ein Wiedereinstellungsanspruch ist somit gegeben, wenn der geplante Arbeitsplatzabbau ganz oder teilweise doch nicht durchgeführt wird oder wurde, und somit eine Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb verbleibt oder eine neue geschaffen wurde.[57] Der Anspruch richtet sich im Falle eines Betriebsübergangs während der laufenden Kündigungsfrist gegen den Betriebserwerber.[58]

Der Anspruch auf Wiedereinstellung besteht nur, wenn die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unvorhergesehen während der laufenden Kündigungsfrist entsteht. Entsteht diese erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, besteht nach dem BAG kein Wiedereinstellungsanspruch.[59]

Jedoch muss nach zutreffender Ansicht in der Literatur bei der betriebsbedingten Kündigung bei Kündigungen in zeitlichen Wellen nicht die individuelle Kündigungsfrist eine feste zeitliche Grenze für den Weiterbeschäftigungsanspruch darstellen.[60] Hier besteht bei einer Abänderung der Unternehmerentscheidung zwischen den Etappen von Kündigungswellen nach richtiger Ansicht kein sachlicher Grund, zwischen Arbeitnehmern, die zeitlich variierend gekündigt wurden, zu unterscheiden. Es sollten allen Arbeitnehmern, deren Beschäftigung bestehen bleibt, ein Wiedereinstellungsanspruch gewährt werden, solange die Kündigungsfrist des an sich zuletzt zu kündigenden oder zuletzt gekündigten Arbeitnehmer noch nicht abgelaufen ist.

 

Rz. 39

 

Hinweis

Der Arbeitnehmer sollte daher immer den Betriebsrat bitten, die tatsächlichen Entwicklungen im Betrieb zu überprüfen und Tatsachen, die gegen den Arbeitsplatzwegfall sprechen, an den Arbeitnehmervertreter weiterzugeben, damit dieser den Wiedereinstellungsanspruch prüfen und ggf. geltend machen kann. Im Falle der Freistellung während der Kündigungsfrist sollte der Arbeitnehmer Kontakt zu Kollegen halten, die ihm dann die Informationen auf seine Fragen zum konkreten Arbeitsplatzabbau geben können.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge