Rz. 123

In der Praxis erscheint die Verlegung von Betriebsstandorten auch ein Mittel zu sein, Arbeitsplätze abzubauen. Verlegt man die Arbeitsstätte örtlich so weit, dass die tägliche Wegstrecke nicht zu bewältigen ist oder – wie bei Teilzeitkräften – außer Verhältnis zur Arbeitszeit steht, so führt allein die Tatsache, dass der Arbeitsort verlegt wird, dazu, dass ein Großteil der beschäftigten Arbeitnehmer nicht an einer Weiterführung des Arbeitsverhältnisses an dem anderen Standort interessiert ist.

Ob und wie der Arbeitgeber die örtliche Verlagerung arbeitsrechtlich bewältigen wird, wird auch von den Arbeitsverträgen der Mitarbeiter abhängen. Die Ausgangsfrage ist immer, ob der Arbeitsort durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen neu bestimmt werden kann oder der Arbeitsort im Arbeitsvertrag mit dem bisherigen Standort festgelegt ist. Im letzteren Fall könnte der Arbeitgeber den Standort der Beschäftigung nicht per Direktionsrecht anweisen.

 

Rz. 124

Sind die Änderungen des Arbeitsortes nach dem Arbeitsvertrag per Direktionsrecht in Form einer Versetzung möglich, bedarf es keiner Änderungskündigung. Der Arbeitgeber kann mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf, möglicherweise auch mit dem Angebot gewisser zeitlicher Unterstützung im Hinblick auf die Fahrten zu dem neuen Betriebsstandort, den Arbeitnehmer den neuen Arbeitsort zu weisen.

 

Rz. 125

Ist auf Seiten des Arbeitgebers Unsicherheit über die Tragweite des Direktionsrechts selbst oder seiner Ausübung nach billigem Ermessen gegeben, so wird er vorsorglich auch eine Änderungskündigung aussprechen, denn die Ausübung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts ist nur zulässig innerhalb der durch den Arbeitsvertrag bestimmten Grenzen; die Änderungskündigung ist dagegen gerichtet auf eine Veränderung der arbeitsvertraglichen Bedingungen.[220]

 

Rz. 126

Nach der Rechtsprechung des BAG hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, neben seiner Weisung an den Arbeitnehmer, beispielsweise nunmehr seine Tätigkeit an einem vom bisherigen Arbeitsort abweichenden Ort zu erbringen, auch eine Änderungskündigung vorsorglich auszusprechen. Die vorsorglich erklärte Änderungskündigung wird hilfsweise und nur für den Fall erklärt, dass die Rechtsauffassung des Arbeitgebers, er könne die beabsichtigte Änderung der Arbeitsbedingungen auch ohne Kündigung herbeiführen, in einem Rechtsstreit von den Arbeitsgerichten nicht geteilt wird. Der Arbeitgeber bekundet damit, die Kündigung soll nur gelten, wenn er nicht schon einseitig zu der vom ihm beabsichtigten Veränderung berechtigt ist. In diesem Fall sei die Kündigung zulässigerweise unter eine so genannte auflösende Rechtsbedingung gestellt.[221]

 

Rz. 127

Der Arbeitnehmer kann sich gegen die (unbillige) Weisung per Direktionsrecht und die zusätzlich ausgesprochene Änderungskündigung dadurch zur Wehr setzen, dass er sowohl die einseitige Maßnahme als auch die Änderungskündigung angreift. Der auf letztere gerichtete Änderungsschutzantrag nach § 4 S. 2 KSchG wird nun nicht mehr abgewiesen, wenn die Weisung des Arbeitgebers vom Arbeitsgericht als zulässig angesehen wird, sondern nunmehr ist nach der Rechtsprechung BAG auch der angekündigte Änderungsschutzantrag des Arbeitnehmers als auflösend bedingt zu verstehen und zu behandeln.[222] Nur dies werde dem Umstand gerecht, dass der Arbeitnehmer es einer­seits für erforderlich hielt, sich auch gegen die Änderungskündigung zur Wehr zu setzen, es aber andererseits nicht seinem Interesse entsprach, das Kostenrisiko dafür zu tragen, dass die Änderungskündigung wegen des Eintritts der auflösenden Bedingung, unter die sie als "vorsorgliche" gestellt war, gegenstandslos war.[223]

 

Rz. 128

Problematisch war insbesondere in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des BAG zur Arbeitgeberweisung.

So hatte der der 5. Senat des BAG 2012 entschieden, dass der Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, die nicht aus sonstigen Gründen unwirksam sei, vorläufig gebunden sei, bis durch rechtskräftiges Urteil gemäß § 315 Abs. 3 S. 2 BGB die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung festgestellt werde.[224] Der Entscheidung lag eine Versetzung eines Lehrers an eine andere Schule zugrunde. Die Kündigungsschutzklage hatte der Lehrer gewonnen und machte dann Annahmeverzugslohn für die Zeit nach der Kündigung geltend. Der 5. Senat verneinte einen entsprechenden Leistungswillen. Eine unbillige Weisung sei nicht nichtig, sondern nur unverbindlich. Die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung müsse erst festgestellt werden, bevor der Arbeitnehmer sich darüber hinweg setzen könne.[225]

 

Rz. 129

Die Entscheidung ist zutreffend auf deutliche Ablehnung gestoßen und auch vielfach von der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte nicht akzeptiert worden. Das LAG Hamm hat insbesondere entgegen dem 5. Senat richtig ausgeführt, dass eine unbillige Weisung nicht einem Verwaltungsakt vergleichbar sei, der zunächst Bestandskraft habe, und sie begründe auch keine "gesetzliche" Folgepflicht. Eine unbillige Leistungsbestimmung binde gemäß § 315 Abs. 3 ...

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