Rz. 198

Kenntnisse beziehen sich auf Fakten, die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Ausbildung, seiner beruflichen Tätigkeit oder sonstigen Lebenserfahrung erlangt hat.[354] Spezielle Kenntnisse können sein: Kundenkontakte, Sprach- oder EDV-Kenntnisse, eine Ausbildungsberechtigung oder ein spezieller Führerschein. Gezielte Ausbildung eines Arbeitnehmers ist zulässig, solange sie nicht in Zusammenhang mit der Vorbereitung der Sozialauswahl veranlasst war, um die Herausnahme aus der Sozialwahl zu erreichen.[355] Die Mitgliedschaft in einer freiwilligen Feuerwehr und die damit verbundenen Kenntnisse rechtfertigen die Herausnahme eines Arbeitnehmers aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 bei einer Gemeinde, die gesetzlich zum Brandschutz verpflichtet ist.[356]

Fähigkeiten betreffen die Eignung des Arbeitnehmers, die vertraglich übernommenen Aufgaben zu erfüllen, also seine Leistungsfähigkeit in qualitativer und quantitativer Hinsicht.[357] Dazu gehören z.B. eine vielseitige Verwendbarkeit, Führungsqualifikation, Befähigung zur Streitschlichtung oder besondere fachliche Eignung für spezielle Aufgaben.[358]

 

Rz. 199

Der Begriff Leistungen umfasst die Qualität und Quantität der verrichteten Arbeit. Als Leistungskriterien kommen z.B. Arbeitsgeschwindigkeit, Genauigkeit, Fehlerquoten oder Verkaufszahlen in Betracht.[359] Nur erhebliche Leistungsunterschiede können zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Betriebes eine Abweichung von der Sozialauswahl rechtfertigen. Diese müssen, damit die Sozialauswahl auch die Regel bleibt und nicht zur Leistungsauswahl mutiert, dem Betrieb aber auch besondere Vorteile bringen. Eine allgemeine Vorteilhaftigkeit genügt nicht.[360]

 

Rz. 200

Fraglich ist, ob und inwieweit eine besonders hohe Krankheitsanfälligkeit eines Arbeitnehmers dazu führen kann, dass ein überwiegend nie im Krankenstand befindlicher Arbeitnehmer als Leistungsträger im Sinne vom § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG statt eines sozial schwächeren Kollegen im Betrieb verbleiben kann.

 

Rz. 201

Dies könnte zu einer Umgehung der spezifischen Voraussetzungen der krankheitsbedingten Kündigung führen.[361] Zutreffend begründet somit die geringe Fehlzeitenquote eines weniger zur Krankheitsanfälligkeit neigenden Arbeitnehmers und somit bessere körperliche Quote kein grundsätzlich besonderes betriebliches Interesse i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sein.[362]

Etwas anderes soll nach der Rechtsprechung des BAG und Teilen der Literatur gelten, wenn nach der Entlassung des sozial stärkeren Arbeitnehmers im Wesentlichen nur vergleichbare Arbeitnehmer mit besonders hohen Fehlzeiten verblieben.[363] Auch in dieser Fallkonstellation ist ein Missbrauch zur Umgehung der Voraussetzungen zur krankheitsbedingten Kündigung denkbar und wahrscheinlich, so dass auch insoweit die Anwendung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG auf die Arbeitnehmer mit wenigen Fehlzeiten nicht anzuwenden ist.

 

Rz. 202

 

Hinweis

Wie oben erläutert, kann ein Arbeitnehmer sich grundsätzlich nicht selbst als Leistungsträger des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG klassifizieren und damit sozusagen sich selbst aus der Sozialauswahl herausnehmen. In Einzelfällen kommt jedoch eine Selbstbindung des Arbeitgebers in Betracht, etwa wenn er überdurchschnittlich leistungsstarke Akkordarbeiter aus der Sozialauswahl herausnimmt.[364] In einem solchem Fall kann sich der Arbeitnehmer, der ein ebenso leistungsstarker Akkordarbeiter ist, auch auf die Herausnahme aus der Sozialauswahl berufen.

Hier können der Arbeitnehmer und sein Vertreter – im Einzelfall – ansetzen, um der Kündigung eines sozial stärkeren Arbeitnehmers etwas entgegen zu setzen.

[354] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 684; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 885.
[355] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 885.
[356] BAG v. 7.12.2006 – 2 AZR 748/05, NZA-RR 2007, 460; zust. KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 684; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 885.
[357] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 685, HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 886.
[358] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 886; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 685.
[359] KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 688; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F KSchG Rn 887.
[360] HWK/Quecke, § 1 KSchG Rn 395.
[361] BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 686; HK-ArbR/Schubert, § 1 KSchG Rn 595; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 888.
[363] BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 306/06, NZA 2007, 1362; HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 888.
[364] HaKo/Mestwerdt/Zimmermann, § 1 Teil F Rn 883; KR/Griebeling/Rachor, § 1 KSchG Rn 681.

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