Rz. 153

Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz:

In die Sozialauswahl sind Arbeitnehmer, deren Wartezeit von sechs Monaten gemäß § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht abgelaufen ist, nicht einzubeziehen, da ihnen noch kein Kündigungsschutz zusteht. Dieser Gruppe von Arbeitnehmern ist vorab zu kündi­gen, sofern nicht ihre Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG) liegt.[253]

Arbeitnehmer, denen nach Gesetz nicht ordentlich gekündigt werden kann:

Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse kraft Gesetz nicht ordentlich gekündigt werden können, sind in die soziale Auswahl nicht einzubeziehen.[254] Dies sind die Spezialregelungen wie etwa § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG, § 22 Abs. 2 BBiG. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor.[255]

Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn im Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung der Sonderkündigungsschutz voraussichtlich alsbald auslaufen wird und aufgrund der kurzen Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis des besonders geschützten Arbeitnehmers zu demselben Termin beendet werden könnte, zu dem auch das Arbeitsverhältnis des konkurrierenden, sozial schwächeren Arbeitnehmers gekündigt werden kann. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall auch nicht verpflichtet, mit der Kündigung zu warten, bis der Sonderkündigungsschutz ausgelaufen ist.[256]

Bei Arbeitnehmern mit gesetzlichem Sonderkündigungsschutz ist zu differen­zieren:

Zu den Arbeitnehmern, die aufgrund eines gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes nicht ohne Zustimmung einer Behörde gekündigt werden können, zählen:

Schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen (SGB IX); Mütter und Väter in der Elternzeit (§ 18 Abs. 1 BEEG), Arbeitnehmer, die Pflegezeit beanspruchen (§ 5 PflegeZG), schwerbehinderte Menschen oder gleichgestellte Menschen

Diese Arbeitnehmer sind in die Sozialauswahl einzubeziehen, wenn die Zustimmung der jeweilig zuständigen Behörde vorhanden ist.[257] Liegt die Zustimmung nicht vor, sind sie nicht einzubeziehen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Zustimmung der jeweils zuständigen Behörde zu beantragen oder einzuklagen.[258]

Arbeitnehmer, die aufgrund eines Tarifvertrages ordentlich unkündbar sind:

In der Praxis besteht vielfach ein tarifvertraglicher Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit nach einer bestimmten Betriebszugehörigkeit verbunden mit dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters, wie z.B. § 34 Abs. 2 TVöD und TV-L, § 15 Abs. 3 MTV für das private Versicherungsgewerbe, § 17 Abs. 3 MTV für Volksbanken und Raiffeisenbanken, der diesen Ausschluss wiederum bei Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG ausschließt.

Nach der am zunächst in 2006 in Kraft getretenen Bestimmung von § 10 S. 3 Nr. 7 AGG sollten individual- oder kollektivvertragliche Regelungen der Unkündbarkeit von Arbeitnehmern wegen des Erreichens eines bestimmten Alters oder einer bestimmten Betriebszugehörigkeit zulässig sein, soweit dadurch der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter in der Sozialauswahl nicht grob fehlerhaft gemindert würde. Diese Regelung wurde jedoch im selben Jahr wieder aufgehoben, weil es sich um ein Redaktionsversehen gehalten habe.[259]

Die Aufhebung von § 10 S. 3 Nr. 7 AGG führt jedoch nicht zur generellen Unwirksamkeit tarifvertraglicher Kündigungsbeschränkungen nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 1, 7 Abs. 1, 2 AGG.[260]

Zwar beinhalten Unkündbarkeitsvereinbarungen eine unmittelbare Benachteiligung der von ihr nicht erfassten – jüngeren – Arbeitnehmer i.S.v. § 3 Abs. 1, § 1 AGG wegen des Merkmals Alter. Sie können jedoch gemäß § 10 S. 1 und S. 2 AGG gerechtfertigt sein.[261] Dieser besondere Schutz älterer Arbeitnehmer ist grundsätzlich ein legitimes Ziel gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG. Tarifliche Unkündbarkeitsregelungen müssen, um sich in Auswahlsituationen als angemessen i.S.d. § 10 S. 1 AGG sowie gesetzes- und verfassungskonform i.S.v. § 1 Abs. 3 KSchG, Art. 12 Abs. 1 GG zu erweisen, aber gewährleisten, dass sie zumindest grobe Auswahlfehler vermeiden. Somit sind die Unkündbarkeitsregelungen daher dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Ausschluss der tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl nur dann vorgenommen werden kann, wenn bei einer Sozialwahl ohne deren Beteiligung, das Auswahlergebnis grob fehlerhaft sein würde.[262] Eine grobe Fehlerhaftigkeit wäre nach dem BAG beispielhaft gegeben, wenn bei einer Vereinbarung mit dem Inhalt, dass ab dem 53. Lebensjahr und einer drei jährigen Beschäftigungszeit ordentliche Unkündbarkeit gegeben ist, ein 50 jähriger Arbeitnehmer, seit 25 Jahren beschäftigt und zwei Kindern zu Unterhalt verpflichtet statt eines 53 jährigen Arbeitnehmers, der keine Unterhaltsverpflichtungen hat und seit drei Jahren im Betrieb beschäftigt ist, zu kündigen wäre.

Arbeitnehmer mit ruhendem Arbeitsverhältnis:

Dauerhaft Abwesende, z.B. Arbeitnehmer in der Freistellungsphase ihrer Blockaltersteilzeit oder langfristig Freigestellte und Arbeitsunfähige, sind nicht in die ­Soziala...

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