Rz. 99

Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung geben können.[172] Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen.[173]

 

Rz. 100

Dabei muss die Kündigung nicht erst nach der Durchführung der Stilllegung ausgesprochen werden. Die Absicht reicht aus. Es muss aber im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt sein, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlichen machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird.[174] Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Beschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen.[175] An einem endgültigen Entschluss zur Betriebsstilllegung fehlt es, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung noch in ernsthaften Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs steht oder sich noch um neue Aufträge bemüht.[176] Die Betriebsstilllegung muss "greifbare Formen" angenommen haben.[177]

 

Rz. 101

Von einer Stilllegung kann nach dem BAG ausgegangen werden, wenn

der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert,

allen Arbeitnehmern kündigt,

etwaige Miet- oder Pachtverhältnisse auflöst,

die Betriebsmittel, über die er verfügt, veräußert und die Betriebstätigkeit einstellt.[178]

Für die Stilllegung von Betriebsteilen gilt dies, begrenzt auf die entsprechende Einheit, entsprechend.[179]

Eine Stilllegungsabsicht des Arbeitgebers liegt dann nicht vor, wenn dieser beabsichtigt, seinen Betrieb bzw. seinen Betriebsteil zu veräußern.[180] Betriebsstillegung und Betriebsübergang schließen sich systematisch aus.[181]

 

Rz. 102

Von einer nicht vorhandenen Stilllegungsabsicht ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber bei Zugang der Kündigung den endgültigen Stilllegungsbeschluss tatsächlich noch nicht endgültig gefasst hat.[182] An dieser Absicht fehlt es auch, solange der bisherige Betriebsinhaber mit einem potentiellen Betriebserwerber in Verhandlungen wegen einer Übernahme steht. Dem Arbeitnehmer kommt eine tatsächliche Vermutung zur Hilfe. Bei alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Erwerber spricht eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen. Es ist Sache desjenigen, der als neuer Arbeitgeber in Anspruch genommen wird, die Vermutung zu widerlegen. Er muss Tatsachen darlegen, die für eine Stilllegung sprechen.[183]

 

Rz. 103

Eine vorübergehende Stilllegung kann eine Kündigung aus diesem Grund nur rechtfertigen, wenn es sich um einen längeren, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum handelt. Steht der Zeitraum im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schon fest, muss es sich um eine relativ lange Zeit handeln, deren Überbrückung dem Arbeitgeber unzumutbar ist. Das BAG hat in einem Einzelfall einen Zeitraum von neun Monaten[184] und von sechs Monaten[185] als erheblich erachtet. Allgemeingültige Abgrenzungskriterien lassen sich allerdings nicht aufstellen. Ob eine – wenn auch nur vorübergehende – Betriebsstilllegung oder eine unerhebliche Betriebsunterbrechung vorliegt, deren Überbrückung dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, ist vielmehr nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.[186]

 

Rz. 104

 

Hinweis

Ob tatsächlich der Betrieb stillgelegt wird, wird sich häufig erst im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens zeigen. Dabei gilt es den tatsächlichen Verlauf der Stilllegung zu beobachten und ggf. mit den so gewonnenen Erkenntnissen diese Stilllegung zu widerlegen.

 

Rz. 105

Bei Teilbetriebsstilllegungen hat der Arbeitgeber, solange noch eine einheitliche Leitungsmacht besteht, auch in den Fällen, in denen ein Betriebsteil stillgelegt und ein anderer weiterführt werden soll (ggf. nach einem Betriebsübergang), die Sozialauswahl betriebsabteilungsübergreifend durchzuführen.[187] Eine unter Missachtung dieses Grundsatzes ausgeführte Bestimmung der Arbeitnehmer für eine Namensliste im Rahmen von Interessenausgleichsverhandlungen zwischen dem Betriebsrat und einem Insolvenzverwalter wird auch als grob fehlerhaft i.S.v. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO angesehen.[188] (Siehe zum Wiedereinstellungsanspruch unter Rdn 38.)

 

Rz. 106

Ausnahmsweise ist die Betriebsstilllegung kein Kündigungsgrund, wenn mit dem Arbeitnehmer Altersteilzeit im Blockmodell vereinbart wurde und dieser sich bereits in der Freistellungsphase befin...

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