Rz. 251

Der Arbeitnehmer, der gegen die betriebsbedingte Kündigung eine Kündigungsschutzklage eingereicht hat, wird nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist und nach Ende der ersten Instanz bis zum rechtskräftigen Ende des Kündigungsrechtsstreits nicht weiterbeschäftigt werden, es sei denn, er stellt einen entsprechenden Antrag beim Arbeitsgericht.

 

Rz. 252

Vorteil einer Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist ist, dass der Arbeitnehmer den Anschluss an seine Tätigkeit mit ihren inhaltlichen Herausforderungen und den Kontakt zu seinen Kollegen und Vorgesetzten nicht verliert. Darüber hinaus erhält er in der Zeit der Weiterbeschäftigung Lohn und muss nicht Arbeitslosengeld beziehen. Gerade für den Fall, dass er nach der zweiten Instanz rechtskräftig seine Kündigungsschutzklage verliert und dann nicht aus Annahmeverzug sein Gehalt noch nachgezahlt erhält, sondern auf Arbeitslosengeld I angewiesen ist, kann er während der Suche nach einem neunen Arbeitsverhältnis mit Arbeitslosengeld I Verdienstlücken überbrücken.

 

Rz. 253

Im Hinblick auf das Kündigungsschutzverfahren erhöhen ein Weiterbeschäftigungsantrag und auch die anschließende tatsächliche Weiterbeschäftigung oftmals den Impuls des Arbeitgebers, eine vergleichsweise Einigung mit dem Arbeitnehmer über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erzielen. Schließlich sollte die Kündigung die Entfernung des Arbeitnehmers aus dem Betrieb bezwecken und mit der Weiterbeschäftigung tritt gerade das Gegenteil ein.[460]

 

Rz. 254

Es gibt zwei Arten der Weiterbeschäftigungsansprüche: den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch, dessen Grundsätze der Große Senat des BAG entwickelt hat, und den besonderen Weiterbeschäftigungsanspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG. Der allgemeine und der betriebsverfassungsrechtliche Anspruch stehen nebeneinander.[461]

Der betriebsverfassungsrechtliche Anspruch setzt voraus, dass ein Betriebsrat besteht und dieser wirksam der Kündigung gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG widersprochen hat.

Der betriebsverfassungsrechtliche hat gegenüber dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch verschiedene Vorteile. So besteht er regelmäßig, also nicht nur ausnahmsweise, bereits vor dem Urteil der ersten Instanz und bleibt auch bei erstinstanzlicher Klageabweisung bis zur Rechtskraft bestehen. Dem Kläger steht seine arbeitsvertragliche Vergütung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu, er hat Anspruch auf Urlaub und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Einer Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht bei rechtskräftigem Unterliegen in dem Kündigungsschutzverfahren bedarf es nicht.[462]

[460] Vgl. auch unter Vorüberlegungen Rdn 6.
[462] Vgl. insgesamt zu den Vorteilen HaKo/Nägele, § 102 BetrVG Rn 195.

a) Allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch – nach stattgebendem Urteil

 

Rz. 255

Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.2.1985[463] kommt eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in Betracht, wenn das Arbeitsgericht in seinem Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben hat. In diesem Fall endet das bis dahin überwiegende Interesse des Arbeitgebers, nach Ablauf der Kündigungsfrist den Arbeitnehmer nicht mehr in seinem Betrieb zu beschäftigen. Unter Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien überwiegt mit dem obsiegenden Urteil der ersten oder zweiten Instanz das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung.

 

Rz. 256

Bei einer Änderungskündigung kann ein Weiterbeschäftigungsanspruch entstehen, wenn der Arbeitnehmer keine – vorbehaltliche – Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen erklärt, sondern das Änderungsangebot abgelehnt hat. Gleiches gilt, wenn es streitig ist, ob er den Vorbehalt wirksam erklärt hat und noch kein der Änderungskündigung stattgebendes Urteil vorliegt.[464]

Hat er das Änderungsangebot angenommen, besteht nach Ablauf der Kündigungsfrist die Pflicht nach den geänderten Arbeitsbedingungen tätig zu werden, so dass das BAG eine Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen abgelehnt hat.[465]

 

Rz. 257

Ausnahmsweise besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch bereits zeitlich vor einem Urteil im Kündigungsschutzprozess, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers offensichtlich unwirksam ist, wie etwa die Kündigung einer Schwangeren in Kenntnis der Schwangerschaft ohne Zustimmung der zuständigen Behörde.[466] Gleiches gilt, wenn ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers besteht, wie z.B. der Erhalt einer Ausbildung oder die Erhaltung von Fachkenntnissen.[467]

 

Rz. 258

Nach einem stattgebenden Urteil der ersten Instanz besteht der Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, nach denen ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer weiteren Freistellung des Arbeitnehmers gegeben ist. Dies kann sein, wenn ein erheblicher Schaden zu erwarten ist, z.B. durch den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen.[468]

Der Weiterbeschäftigungsanspruch entfällt jedoch, wenn der Arbeitgeber nach seiner Verurteilung zur Weiterbeschäftigung eine Folgekündigung aufgrund eines neuen, anderen L...

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