Rz. 1

Der Käufer hat vor Abnahme des Fahrzeugs ein Prüfrecht. Er kann innerhalb der 14 Tage, in denen er nach Abschn. V. Nr. 1 NWVB zur Abnahme verpflichtet ist, davon Gebrauch machen. Gutachterkosten hat der Käufer selbst zu tragen, sofern nichts anderes vereinbart wurde.

 

Rz. 2

Diese Untersuchungsbefugnis des Neuwagens ist seit jeher im Neuwagenhandel üblich, auch wenn sie nicht mehr ausdrücklich in der jetzigen Fassung der NWVB aufgeführt ist. Der Käufer hat die Möglichkeit, Sachmängel dieses Fahrzeugs aufzudecken und eine Probefahrt[1] vorzunehmen, um die Fahreigenschaften des gekauften Fahrzeugs, wie Brems-, Spur- und Lenkverhalten zu testen, was bei einem stehenden Fahrzeug oder der Fahrt mit einem Vorführwagen, der nicht Kaufgegenstand ist, gerade nicht möglich ist. Der beständige Einschluss des Rechts auf eine Probefahrt in das Prüfrecht gewährt dem Käufer nunmehr einen gewohnheitsrechtlichen Anspruch darauf. Das Prüfungsrecht vor Abnahme steht auch Kaufleuten zu und korrespondiert mit der in § 377 HGB gesetzlich normierten Pflicht, die Ware unverzüglich nach Ablieferung zu prüfen und dem Verkäufer Mängel unverzüglich anzuzeigen.

 

Rz. 3

Die Länge der Probefahrt darf auch nach Wegfall des entsprechenden Abschnitts in den NWVB, 20 km nicht überschreiten, weil davon auszugehen ist, dass eine solche Laufleistung[2] den Neuwagencharakter nicht beeinträchtigt, zumal die Fahrstrecke unter fachkundiger Aufsicht des Verkäufers zurückgelegt wird. Bei einem Scheitern des Vertrages nach der Probefahrt muss der nächste Kaufinteressent eine unsachgemäße Benutzung ebenso wenig fürchten, wie eine übermäßige Beanspruchung, so dass es gerechtfertigt ist, den Wagen als "neu" weiter zu verkaufen.[3]

 

Rz. 4

Für die Frage der Haftung bei Schäden während der Probefahrt hat die Rechtsprechung Haftungsmaßstäbe entwickelt, die sich am Verschuldensgrad des Probefahrers orientieren und sowohl für eine Probefahrt mit dem bestellten Fahrzeug vor der Abnahme als auch für die Fahrt des Kaufinteressenten mit einem Vorführwagen gelten.

 

Rz. 5

Überlässt der Händler dem Kaufinteressenten ein Fahrzeug zur Probefahrt und beschädigt dieser es infolge nur leichter Fahrlässigkeit, dann gilt zugunsten des Interessenten eine stillschweigende Haftungsfreistellung, wenn die Beschädigung des Fahrzeugs im Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren steht und der Kunde vor Fahrtantritt nicht auf seine volle Haftung ausdrücklich hingewiesen worden ist.[4]

 

Rz. 6

Diese Rechtsgrundsätze sind durch verschiedene Erwägungen gerechtfertigt. Zum einen besteht aufgrund der dem Kaufinteressenten nicht vertrauten Besonderheiten des Fahrzeugmodells, dass er zur Probe fährt, ein allgemein erhöhtes Unfallrisiko. Bedienungshebel, wie Gangschaltung, Hupe, Blinker sind bei den einzelnen Modellen unterschiedlich ausgebildet und an verschiedenen Stellen angebracht. Auch das Ansprechen des ­Gaspedals und der Bremsen, das Lenkverhalten und die Fahrzeugabmessungen sind unterschiedlich und bringen Umstellungsschwierigkeiten mit sich. Zum anderen ist es dem Fahrzeughändler möglich und zumutbar, für das Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung abzuschließen, da die Probefahrt auch seinem Interesse an der Förderung des Absatzes entspricht.[5] Die Fahrzeugversicherung für Kraftfahrzeughandel und Handwerk tritt sowohl für Schäden ein, die bei einer Probefahrt mit rotem oder Kurzzeitkennzeichen verursacht worden sind, als auch, wenn das Fahrzeug bei Antritt der Probefahrt bereits auf den Käufer zugelassen ist, die Abnahme aber noch bevorsteht und das Fahrzeug sich somit noch in der Obhut des Händlers befindet.[6] Ein Regress des Versicherers gegen den Probefahrer ist gem. § 15 Abs. 2 AKB nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles möglich.

 

Rz. 7

Der Händler trägt die Beweislast für den Eintritt des Schadens während der Probefahrt. Der Fahrer hat hingegen die Vermutung des Verschuldens gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB gegen sich und muss den Entlastungsbeweis führen, dass er nicht grob fahrlässig gehandelt hat.[7]

 

Rz. 8

Nachteilig für den Händler ist allerdings der Umstand, dass der Käufer bei einer leicht fahrlässig verursachten Beschädigung des Neuwagens nicht haftet, das Fahrzeug jedoch infolge des Unfalls oberhalb der Bagatellgrenze und des Verbleibs der merkantilen Wertminderung zum Unfallwagen wird und nicht mehr als Neuwagen verkauft werden kann.[8] Für grobfahrlässig verursachte Schäden oder solche, die nicht im Zusammenhang mit den eigentümlichen Gefahren einer Probefahrt stehen, haftet der Kaufinteressent voll.

 

Rz. 9

Die Bewertung des Fahrverhaltens eines Probefahrers als grob fahrlässig wird von der Rechtsprechung eher restriktiv gehandhabt. Das Abkommen von der Fahrbahn und die anschließende Kollision mit einem Baum infolge starken Abbremsens aus überhöhter Geschwindigkeit vor einer Ortseinfahrt[9] wurde ebenso wie der Aufprall gegen einen Brückenpfeiler aufgrund eines Lenkfehlers einer Fahranfängerin in einer Linkskurve als leicht...

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