Rz. 9

Es gilt der Sichtbarkeitsgrundsatz:[17] Verkehrszeichen müssen so aufgestellt und angebracht sein, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon "mit einem raschen und beiläufigen Blick" erfassen kann.[18] Ist ein Verkehrsschild n dieser Weise aufgestellt, so entfaltet es seine Wirkung gegenüber jedem, der von der Regelung betroffen ist, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen wahrnimmt oder nicht.[19] Dies entspricht der Wirkung vergleichbarer anderer öffentlicher Bekanntmachungen.[20] Die materielle Beweislast dafür, dass den Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes für die Aufstellung oder Anbringung der Verkehrszeichen genügt wurde, trägt nach allgemeinen Grundsätzen im Streitfall die Behörde, die daraus Rechtsfolgen herleiten will.[21]

Vorgaben für die Aufstellung und Anbringung von Verkehrszeichen im Sinne des Sichtbarkeitsgrundsatzes sind der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO) zu entnehmen.[22] Auch nur vorübergehend aufgestellte Verkehrszeichen sind, solange sie in zeitlicher Hinsicht Geltung beanspruchen, von den Verkehrsteilnehmern zu beachten und müssen dementsprechend sichtbar sein. An sie sind keine geringere Anforderungen zu stellen als an solche, die dauerhaft gelten sollen.[23] Maßstab für die Erfüllung der Anforderungen des Sichtbarkeitsgrundsatzes ist grundsätzlich der durchschnittliche Kraftfahrer und nicht etwa der im konkreten Fall Ortskundige.[24]

 

Rz. 10

Der Verkehrsteilnehmer muss die Anordnung des Verkehrszeichens ohne weitere Überlegung eindeutig erfassen können,[25] wobei dieses Erfordernis nicht nur bei der erstmaligen Anbringung, sondern auch bei der fortdauernd zugedachten Wirkung gilt. Der Sichtbarkeitsgrundsatz ist dabei nicht in völliger begrifflicher Absolutheit und ohne jede Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweils zu regelnden Verkehrssituation anzuwenden.[26] So besteht innerortseine gesteigerte Vergewisserungspflicht, ob man sich in einer Tempo 30-Zone befindet.[27] Der Verordnungsgeber hat den Sorgfaltsmaßstab für die Wahrnehmung von Tempo 30-Zonen über die allgemeine Sorgfaltspflicht gemäß § 1 StVO hinaus dadurch verschärft, dass er in § 39 Abs. 1a StVO bestimmt hat, dass innerhalb geschlossener Ortschaften abseits der Vorfahrtsstraßen (Zeichen 306) mit der Anordnung von Tempo 30-Zonen zu rechnen ist.[28]

Werden Verkehrsregelungen aufgrund von Abnutzung oder Witterungseinflüssen derart unkenntlich (z.B. abgenutzte Markierung, völlig verschneites Schild, das auch nicht aufgrund seiner äußeren Form erkennbar ist, wie z.B. Zeichen 206 "Halt. Vorfahrt gewähren" – Stoppschild), dass die Erkennbarkeit im vorbeschriebenen Sinne nicht mehr gegeben ist, so verlieren sie ihre Wirksamkeit[29] und sind nichtig (vgl. dazu § 39 Rdn 96 ff.).Dies gilt nicht bei Schildern, bei denen man bereits aufgrund ihrer für sie einzigartigen und charakteristischen äußeren Form erkennen kann, um welches Verkehrszeichen es sich handelt (z.B. achteckiges Stoppschild).[30]

 

Rz. 11

Ein durch Baum- und Buschbewuchs objektiv nicht mehr erkennbares Verkehrszeichen (im Fall: Zeichen 274.1) entfaltet keine Rechtswirkungen mehr.[31]

 

Rz. 12

Der Anforderung an die sofortige Erkennbarkeit des Regelungsgehalts von Verkehrszeichen genügt jedenfalls eine Schilderkombination nicht mehr, die aus einem Verbotszeichen und vier Zusatzzeichen besteht ("fließender Verkehr").[32] Die Beschilderung einer Haltverbotszone durch Zeichen 290.1 mit drei einfachen Zusatzzeichen soll den Anforderungen an die Erkennbarkeit des Regelungsgehalts von Verkehrszeichen genügen.[33]

 

Rz. 13

Es ist darüber hinaus in der Rechtsprechung anerkannt, dass an die Sichtbarkeit von Verkehrszeichen, die den ruhenden Verkehr betreffen, niedrigere Anforderungen zu stellen sind als an solche für den fließenden Verkehr.[34] Zudem treffen einen Verkehrsteilnehmer, der sein Kfz abstellt, auch andere Sorgfalts- und Informationspflichten hinsichtlich der Beschilderung als einen Teilnehmer am fließenden Verkehr.[35]

 

Rz. 14

Das BVerwG[36] hat allerdings ein Urteil des OVG Berlin-Brandenburg aufgehoben und zurückverwiesen, nachdem das OVG noch festgehalten hatte, dass ein Verkehrsteilnehmer, der sein Kfz abstellt, gerade in einer Großstadt (Berlin) jederzeit mit temporär geltenden Park- und Haltverboten rechnen muss und daher verpflichtet sei, sich gegebenenfalls auch nach dem Abstellen seines Fahrzeugs sorgfältig darüber zu informieren, ob das Halten an der betreffenden Stelle auch zulässig ist. Bevor er sein Fahrzeug endgültig abstellt, müsse er den leicht einsehbaren Nahbereich auf das Vorhandensein solcher Verkehrsregelungen überprüfen und dafür ggf. auch eine gewisse Strecke nach beiden Richtungen abschreiten. Hierzu sei er gerade dann verpflichtet, wenn die Sicht auf mögliche Aufstellorte, z.B. durch andere Fahrzeuge, versperrt ist.[37] Das OVG war damit von einer anlasslosen Nachschaupflicht ausgegangen und hat angenommen, dass das Haltverbot für den Kläger erkennbar gew...

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