Rz. 70

Erleidet der Betroffene bei Verkehrsunfällen selbst einen beträchtlichen Schaden, sei es in Form des Sachschadens oder des Personenschadens, ist oftmals eine Einstellung des Verfahrens möglich. Wirtschaftlich ist es bspw. dann heikel, wenn für den Betroffenen keine Vollkaskoversicherung existiert und er einen erheblichen Eigenschaden tragen muss. Aber auch bei Vollkaskoversicherung kann durch eine hohe Selbstbeteiligung oder durch von der Versicherung nicht erfasste Kosten eine entsprechende Argumentation im Sinne des erlittenen Eigenschadens erfolgen. Im Strafgesetzbuch ist der geschilderte hohe Eigenschaden explizit in § 60 geregelt. Eine direkte oder analoge Anwendung ist nicht möglich, jedoch kann zumindest der Rechtsgedanke des § 60 StGB auch auf Ordnungswidrigkeiten angewendet werden. Denn sieht das Strafrecht explizit die Möglichkeit vor, dass das Gericht bei eigenem Schaden des Angeklagten von Strafe absehen kann, so muss dieser Rechtsgedanke folgerichtig erst recht im Bußgeldverfahren Anwendung finden, welches ein "Minus" zum Strafrecht darstellt.[74]

 

Rz. 71

Es reicht aber nicht aus, in einer Einlassung gegenüber der Verfolgungsbehörde pauschal den hohen Eigenschaden zu behaupten. Ist der Betroffene wegen des Verkehrsunfalles verletzt worden, empfiehlt es sich, sich ein ärztliches Attest vorlegen zu lassen. Dieses sollte dann unbedingt mit der Einlassung an die Bußgeldstelle weitergeleitet werden. Es sollte jedoch vermieden werden, lediglich auf das Attest zu verweisen. Bereits in dem ersten Beratungsgespräch sollte der Betroffene zu seinen Verletzungen befragt werden, insbesondere auch zu den Verletzungsfolgen. Diese sind der Bußgeldstelle mitzuteilen. Sind die Verletzungen sichtbar, kann der Betroffene in dem Beratungsgespräch darum gebeten werden, Fotos von den Verletzungen zu machen und diese zur Akte zu reichen. Der Verteidiger sollte die Fotos gleichfalls mit der Einlassung und der Bitte um vertrauliche Behandlung an die Bußgeldstelle weiterleiten. Nun hat der Sachbearbeiter plötzlich ein Bild vor Augen und muss sich ganz konkret mit der Einlassung des Verteidigers und den Verletzungen des Betroffenen auseinandersetzen. Die Praxis zeigt, dass dieser "Schock" die Ermessensausübung des Sachbearbeiters durchaus sehr positiv zugunsten des Betroffenen beeinflussen kann.

 

Rz. 72

In der Einlassung könnte wie folgt formuliert werden:

 

Rz. 73

Muster 37.19: Einstellung wegen Eigenverletzung

 

Muster 37.19: Einstellung wegen Eigenverletzung

An die Zentrale Bußgeldbehörde _________________________

Sehr geehrte _________________________,

nach inzwischen gewährter Akteneinsicht beantrage ich namens und in Vollmacht für den Betroffenen, das Verfahren nach § 47 OWiG einzustellen. _________________________ (Ausführungen zum Tatvorwurf)

Mein Mandant ist durch den Verkehrsunfall nicht unerheblich verletzt worden. Er erlitt _________________________ (Es folgen Ausführungen zu der Verletzungsart). Ich überreiche beigefügt ein ärztliches Attest von Herrn Dr. _________________________, welcher die Verletzungen meines Mandanten bestätigt. Ebenfalls überreiche ich zur Akte Fotos von den Verletzungen, welche unmittelbar nach dem Unfall gemacht worden sind. Ich bitte diese äußerst vertraulich zu behandeln.

Durch diese Verletzungen hatte mein Mandant über einen langen Zeitraum unter erheblichen Schmerzen und Einschränkungen zu leiden. _________________________ (Es folgen Ausführungen zu den Verletzungsfolgen sowie ggf. zu Einschränkungen im Alltag.)

Aus dem Rechtsgedanken des § 60 StGB, welcher auch im Ordnungswidrigkeitenrecht Anwendung findet, folgt, dass von der Verhängung einer Geldbuße bzw. der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit abzusehen ist, wenn die Folgen der Tat, die den Betroffenen getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Geldbuße offensichtlich verfehlt wäre.

Dieser Fall ist hier nach dem oben Geschilderten einschlägig. Wie bereits ausgeführt, ist mein Mandant durch den Verkehrsunfall erheblich verletzt worden. Das Bußgeldrecht und die daraus folgende Sanktion sind darauf ausgerichtet, einen nachdrücklichen Pflichtenappell an den Betroffenen zu richten, künftig Ge- und Verbote zu befolgen. Dieser "Lerneffekt" ist hier jedoch schon erreicht, weil mein Mandant infolge der Ordnungswidrigkeit selbst einen schweren Schaden erlitten hat. Einer Verfolgung als Ordnungswidrigkeit bedarf es daher nicht.

Ich beantrage daher, das Bußgeldverfahren gegen meinen Mandanten einzustellen.

 

Rz. 74

Neben dem Personenschaden ist der erhebliche Sachschaden der Hauptanwendungsfall des Rechtsgedanken des § 60 StGB. Den Umfang kann die Bußgeldstelle von sich aus freilich nicht ermitteln oder kennen. Das bedeutet, der Verteidiger hat sie hierauf hinzuweisen. Es ist angezeigt, dass er in seinem Schreiben an die Bußgeldstelle den Versicherungsschein zum Nachweis mitschickt und – sofern vorhanden – ein Gutachten zur Höhe des Fahrzeugschadens. Sofern der Mandant rechtsschutzversichert ist, kann überlegt werden, ein Sachverständig...

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