Rz. 62

 

Achtung

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beweisantrag als verspätet abgelehnt werden darf, spielt das Interesse des Gerichtes an einer möglichst zügigen Verfahrensdurchführung nicht die entscheidende Rolle.

a) Missbrauch

 

Rz. 63

Abgelehnt werden darf ein Beweisantrag vielmehr allein unter dem Gesichtspunkt der Prozessverschleppung, d.h. um einem Missbrauch prozessualer Rechte in Gestalt des bewussten Zurückhaltens von Beweismitteln zu begegnen (BVerfG NJW 1992, 2811). Davon kann jedenfalls dann keine Rede sein, wenn der Beweisantrag bereits eine Woche vor dem Hauptverhandlungstermin schriftlich gestellt wurde. Darauf, ob das Gericht den Zeugen noch zum Termin laden konnte, kommt es nicht an (OLG Düsseldorf zfs 2004, 185).

 

Rz. 64

Auch ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, der als Reaktion auf eine in der Hauptverhandlung gemachte Zeugenaussage gestellt wird, kann nicht verspätet sein, denn der Betroffene muss eine solche Aussage nicht in allen Einzelheiten voraussehen und bereits vorsorglich reagieren (OLG Thüringen zfs 2004, 431).

b) In allen Bußgeldsachen

 

Rz. 65

Früher war die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Verspätung nur bei geringfügigen Bußgeldern, d.h. solchen bis zu höchstens 75 DM (OLG Hamm NZV 1993, 361), möglich. Diese Einschränkung ist mit der Neuregelung des Ordnungswidrigkeitengesetzes weggefallen. Jetzt können Beweisanträge unabhängig von der Höhe der Geldbuße in allen OWi-Verfahren als verspätet zurückgewiesen werden.

c) Beweisaufnahme muss stattgefunden haben

 

Rz. 66

Abgelehnt werden kann ein Antrag nur dann, wenn bereits eine Beweisaufnahme stattgefunden hat und das Gericht im Übrigen den Sachverhalt für hinreichend geklärt ansieht.

d) Aussetzung der Hauptverhandlung

 

Rz. 67

Weitere Voraussetzung ist, dass die Beweisaufnahme zur Aussetzung der Hauptverhandlung gem. § 228 StPO führen würde.

 

Achtung: Nicht bei Unterbrechung

Könnte die Hauptverhandlung lediglich i.S.d. § 229 StPO, § 46 OWiG unterbrochen (§ 229 StPO, § 46 OWiG) und nicht ausgesetzt (§ 228 StPO, § 46 OWiG) werden, ist eine Ablehnung nicht gerechtfertigt. Das Gericht muss deshalb immer auch dartun können, dass eine Beweisaufnahme auch mit einer bloßen Unterbrechung der Hauptverhandlung nicht hätte durchgeführt werden können (OLG Hamm zfs 2008, 169; DAR 2015, 275).

 

Rz. 68

Darüber hinaus muss der Beweisantrag kausal für die Aussetzung der Hauptverhandlung sein. Das ist bereits dann nicht der Fall, wenn sich die Beweiserhebung dem Gericht aufdrängte, denn dann geht die gerichtliche Aufklärungspflicht vor.

 

Rz. 69

Kausal für die Aussetzung der Hauptverhandlung kann ein Beweisantrag im Übrigen dann nicht sein, wenn die Hauptverhandlung ohnehin aus anderen Gründen hätte ausgesetzt werden müssen, z.B. weil andere unverzichtbare Beweismittel noch ausstehen.

e) Ohne verständigen Grund

 

Rz. 70

Ein verständiger Grund kann allenfalls dann vorliegen, wenn dem Betroffenen ein früheres Vorbringen möglich und vor allem auch zumutbar war. Es versteht sich somit von selbst, dass ein Beweisantrag nicht als verspätet zurückgewiesen werden darf, wenn sich erst in der Hauptverhandlung (z.B. durch die Aussage eines Zeugen) Hinweise auf das Beweismittel ergeben haben.

 

Rz. 71

Dies gilt ebenso, wenn in der Beweisaufnahme neue Umstände bekannt werden oder sich die Beweissituation im Vergleich zur Aktenlage ändert, etwa weil ein Zeuge von seiner schriftlichen Aussage in einem erheblichen Punkt abweicht. Auf solche Veränderungen braucht sich der Betroffene nicht etwa durch vorsorglich gestellte Beweisanträge einzustellen (OLG Thüringen zfs 2004, 431).

 

Rz. 72

Zumutbar kann ein früheres Vorbringen schließlich nur sein, wenn dadurch die Verteidigung nicht beeinträchtigt würde oder für den Betroffenen bzw. einen Angehörigen nicht mit der Gefahr sonstiger Nachteile verbunden wäre. Deshalb gibt es oft gute Gründe, ein Beweismittel erst später einzusetzen. Dies zu entscheiden ist vorrangig Sache des Verteidigers; das Gericht kann ihm nicht den Verteidigerplan vorschreiben.

 

Rz. 73

So ist es z.B. durchaus verständlich, wenn der Verteidiger im Falle einer Halteranzeige zunächst einmal abwartet, ob der Mandant als Verantwortlicher identifiziert wird, um danach erst einen Zeugen, von dem er zum Teil auch belastende Aussagen erwartet, zu benennen.

Ebenso nachvollziehbar ist, dass ein verheirateter Betroffener erst nach seiner Identifizierung seine Freundin als Entlastungszeugin benennt.

 

Rz. 74

 

Tipp: Bis zur Hauptverhandlung unbekannte Zeugenanschrift

Das BVerfG (zfs 1992, 285) hatte bereits zur früheren Rechtslage, also selbst wenn es nur um ein geringfügiges Bußgeld ging, entschieden, dass die Ablehnung wegen Verspätung eines mit der Behauptung des Betroffenen verbundenen Beweisantrages, er habe die Anschrift des Entlastungszeugen gerade erst erfahren, als jetzt verspätet das rechtliche Gehör verletzt.

 

Rz. 75

Das muss umso eher gelten, wo der Verspätungseinwand nicht mehr nur bei geringfügigen Bußgeldern möglich ist.

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