Rz. 250

Fraglich ist, ob die Vorschriften §§ 15a, 55 Abs. 5 S. 2–4 RVG auch für solche Fälle Anwendung finden, die vor der Gesetzesänderung 5.8.2009 liegen, sog. "Altfälle".

Hierzu gibt es in der Rechtsprechung bislang unterschiedliche Meinungen. Es ist fraglich, ob hier § 60 RVG als allgemeine abgrenzende Norm für Übergangsvorschriften, Anwendung findet. Gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG ist die Rechtsanwaltsvergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erteilung derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist.

Die Meinung,[445] die sich für eine Anwendbarkeit der neuen Anrechnungsvorschriften auch auf Altfälle ausspricht, argumentiert u.a., dass für diese gesetzliche Neuregelung in Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften[446] keine Übergangsvorschrift geschaffen worden ist und dass die in § 60 RVG enthaltene Übergangsvorschrift auf diesen Fall keine Anwendung findet.

Denn diese Voraussetzungen sind vorliegend deshalb nicht erfüllt, weil die Regelung des § 15a RVG keine Gesetzesänderung in diesem Sinne darstellt, sondern eine von dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH[447] für erforderlich gehaltene Klarstellung der bereits zuvor geltenden Rechtslage hinsichtlich der Anrechnung von Rechtsanwaltsgebühren gehalten wird. Dies hat der BGH.[448] auch so nochmals ausdrücklich entschieden und klargestellt. Ferner hat der BGH festgestellt, dass sich die Anrechnungsvorschrift auf das Innenverhältnis zwischen Mandant und Anwalt beschränkt, aber § 15a Abs. 2 RVG sicherstellen soll, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann.

 

Rz. 251

Die Gegenmeinung[449] hierzu spricht sich für die Anwendbarkeit des § 60 RVG aus, denn den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die bisher bestehende Anrechnungsregelung lediglich klarstellend korrigieren wollte. Dies ist aus der Entscheidung des Kammgerichts entnommen und sicher so auch zutreffend.

 

Rz. 252

Der II. Zivilsenat des BGH hat jedoch mit seiner vorgenannten Entscheidung vom 2.9.2009 entschieden, dass es sich bei der Einfügung des § 15a RVG um eine Klarstellung und Anerkennung der bisherigen Rechtslage durch den Gesetzgeber gehandelt hat, daher sind die Argumente der Gegenmeinung der Anwendbarkeit der neuen Vorschrift wohl kaum haltbar.

Der X. Zivilsenat des BGH[450] weist allerdings darauf hin, dass erhebliche Zweifel an der Rechtsaufassung des II. Senates bestehen.

Darüber hinaus hat das Kammgericht[451] weiter entschieden, dass sich für die "Altfälle" nach der bisherigen Rechtslage nichts ändere, weil insoweit § 60 Abs. 1 RVG Anwendung findet. Die Berechnung der Vergütung findet dann nach bisherigem Recht statt, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt wurde. Ferner hat das Kammergericht[452] auch entschieden, dass durch die Entscheidung des II. Zivilsenates des BGH vom 2.9.2009 die Anwendung des § 15a RVG noch nicht abschließend geklärt ist, weil andere Senate des BGH die vor der Einführung der Vorschrift bestehende Rechtslage abweichend beurteilen und der Große Senat für Zivilsachen insoweit noch nicht entschieden hat. Dies hat danach ebenfalls auch das OLG Hamm[453] ebenso entschieden.

Es wird daher noch eine abschließende Entscheidung zur Klarstellung der Anwendung auf sog. "Altfälle" des Großen Zivilsenats des BGH abzuwarten sein. Die bisherige überwiegende Meinung hält § 15a RVG auf "Altfälle" nicht bzw. nur bei noch nicht abgeschlossenen Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar.[454]

[445] OLG Stuttgart Beschl. v. 11.8.2009 – 8 W 339/09; OLG Koblenz Beschl. v. 1.9.2009 – 14 W 553/09; BGH 2.9.2009 – II ZB 35/07, LG Saarbrücken Beschl. v. 3.9.2009 – 5 T 434/09; OLG Köln BeckRS 2009 25242.
[446] Vgl. BGBl I 2009 S. 2449.
[449] OLG Bamberg Beschl. v. 15.9.2009 – 4 W 139/09; OLG Celle, Beschl. v. 26.8.2009 – 2 W 240/09; OLG Hamm, Beschl. v. 25.9.2009 – 25 W 333/09 in Übereinstimmung mit OLG Celle Beschl. v. 26.8.2009 – 2 W 240/09), OLG Frankfurt Beschl. v. 10.8.2009 – 12 W 91/09, KG Beschl. v.13.8.2009 – 2 W 128/09.
[450] BGH Beschl. v. 29.9.2009 – X ZB 1/09.
[452] KG Beschl. v. 13.10.2009 – 27 W 98/09.
[453] OLG Hamm, Beschl. v. 27.10.2009 – 25 W 444/09.
[454] OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.12.2009 – 8 W 439/09; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.10.2009 – 13 W 1952/09; OLG Oldenburg, Beschl. v. 7.10.2009 – 13 W 43/09.

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