Rz. 118

Voraussetzung für eine Erhöhung von Wertgebühren ist, dass der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe ist (nicht, wenn es um einen gleichen oder ähnlichen Anspruch geht). Gegenstandsidentität ist gegeben, wenn in derselben Angelegenheit mehrere Personen an einer Rechtsverfolgung gemeinschaftlich beteiligt sind, d.h. der RA ist wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig. Gemäß Anm. 2 zu Nr. 1008 VV RVG wird die Erhöhung nach dem Betrag berechnet, an dem die Personen gemeinschaftlich beteiligt sind.

 

Rz. 119

 

Beispiel 1

Eheleute und ihr Sohn sind Vermieter und haben den RA beauftragt, Antrag auf Erlass des Mahnbescheides gegen den Mieter wegen rückständiger Mieten in Höhe von 1.500,00 EUR einzureichen.

Bei den Mandanten des RA handelt es sich um Gesamtgläubiger (3 Auftraggeber = 2 Erhöhungen), die denselben Gegenstand, nämlich die Zahlung von 1.500,00 EUR begehren. Die Voraussetzungen der Nr. 1008 VV RVG sind gegeben.

Es entsteht die Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3305, 1008 VV RVG (1,0 + 2 × 0,3 = 1,6) aus 1.500,00 EUR = 184,00 EUR.

 

Rz. 120

 

Beispiel 2

Der betagte A ist gesundheitlich nicht mehr in der Lage, seine Fahrzeuge zu führen und überträgt daher das Eigentum an seinem Fahrzeug 1 (Wert: 15.000,00 EUR) an seinen Enkel B und das Eigentum an seinem Fahrzeug 2 (Wert: 12.000,00 EUR) an seinen Enkel C mit notariellem Schenkungsvertrag und unterwirft sich hinsichtlich der Herausgabe der Fahrzeuge der Zwangsvollstreckung. Da A sich nun weigert, die Fahrzeuge an B und C heraus zu geben, beauftragen diese ihren RA mit der Herausgabevollstreckung.

In diesem Beispiel verlangt jeder Enkel die ihm jeweils zustehende Leistung, nämlich Herausgabe des entsprechenden Fahrzeuges, und nicht eine Leistung an die Gemeinschaft. Dementsprechend ist von verschiedenen Gegenständen auszugehen, so dass kein Raum für eine erhöhte Verfahrensgebühr ist. Vielmehr hat der RA der Enkel die Werte i.S.v. § 22 RVG zusammenzurechnen und aus dem Gesamtwert von 27.000,00 EUR die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3309 VV RVG zu ermitteln, da dies zu einer geringeren Gebühr führt als eine getrennte Berechnung, § 15 Abs. 3 RVG.

 

Rz. 121

 

Beispiel 3

A und B haben das in ihrem gemeinsamen Eigentum stehende Motorrad an C zu einem Preis von 7.000,00 EUR veräußert. Ferner hat B gegen C noch einen Anspruch auf Rückzahlung eines ausgereichten Darlehens von 3.000,00 EUR. Da C beide Verpflichtungen nicht erfüllt, beauftragen A und B ihren RA mit der Erhebung der Klage und Vertretung im Rechtsstreit.

A und B sind Gesamtgläubiger des gemeinsamen Anspruchs aus dem Motorradkaufvertrag. Personenmehrheit i.S.d. Nr. 1008 VV RVG liegt vor. Der gemeinschaftliche Gegenstand der Angelegenheit ist insoweit auch gegeben. An dem Anspruch aufgrund Darlehensrückzahlung ist nur B beteiligt. Nach herrschender Meinung[48] ist in Bezug auf die Verfahrensgebühr abzurechnen:

 
Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (1,3) aus 10.000,00 EUR 725,40 EUR
Erhöhte Verfahrensgebühr gem. Nr. 1008 VV RVG (0,3) aus 7.000,00 EUR 121,50 EUR
 

Rz. 122

Bei der vorstehenden Lösung zu Beispiel 3 mit einer Gesamtvergütung von 846,90 EUR wurde zunächst aus dem zusammengerechneten Gesamtwert (§ 22 RVG) die Verfahrensgebühr ohne Erhöhung ermittelt und dann auf den Teilbetrag des gemeinschaftlichen Gegenstandes die erhöhte Verfahrensgebühr gesondert berücksichtigt. Zwar ist die Art der isolierten Darstellung der erhöhten Verfahrensgebühr als grundsätzlich nicht allein stehende Gebühr nicht systemgerecht, allerdings muss bei Anwendung dieser überwiegenden herrschenden Meinung dieser Kompromiss hingenommen werden.

 

Rz. 123

Eine Mindermeinung[49] vertritt die Auffassung, dass unter Anwendung des Beispiels 3 die erhöhte Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3100, 1008 VV RVG in Höhe eines 1,6-Satzes aus dem Wert der Mehrfachvertretung von 7.000,00 EUR = 648,00 EUR und eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG in Höhe des Satzes von 1,3 aus dem Wert der Einzelvertretung von 3.000,00 EUR = 261,30 EUR zu berechnen ist. Die Anwendung von § 15 Abs. 3 RVG wird beachtet, wonach dem RA nicht mehr als eine 1,6-Gebühr aus 10.000,00 EUR = 892,80 EUR zusteht. Insgesamt ergibt sich so eine höhere Vergütung.

Dass diese Berechnungsmethode in Literatur und Rechtsprechung überwiegend kritisiert wird, wird damit begründet, dass § 15 Abs. 3 RVG deshalb schon nicht einschlägig ist, weil danach für Teile des Gegenstandes verschiedene Gebührensätze, also verschiedene Gebührentatbestände aufeinandertreffen müssen. Es liegen keine verschiedenen Gebührentatbestände vor, wenn zwei Verfahrensgebühren nebeneinander stehen, einmal mit und einmal ohne die Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG. Die Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG lässt aus der zu erhöhenden Gebühr keinen anderen Gebührentatbestand werden.[50] Ungeachtet dessen ist der RA berechtigt, zunächst die für ihn günstigere vertretbare Abrechnungsweise zu wählen. Akzeptiert der Mandant sie nicht, muss er sich des Risikos einer streitigen Auseinandersetzung bewusst sein.

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