Rz. 96

Ob Unfallflucht auch in Zukunft selbst bei klarer Sach- und Rechtslage zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, erscheint zweifelhaft.

 

Beispiel

Der Versicherungsnehmer beschädigt ein parkendes Fahrzeug und lässt sein Fahrzeug an der Unfallstelle zurück. Hier ist das Aufklärungsinteresse des Versicherers bzgl. Schadenhergang und Schadenhöhe nicht verletzt; verhindert wird allenfalls die Feststellung, ob der Versicherungsnehmer alkoholisiert war.

 

Rz. 97

Nach bisheriger Rechtsprechung trat die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Unfallflucht auch bei eindeutiger Haftungslage ein, weil der BGH die Auffassung vertritt, dass § 142 StGB auch "reflexartig" das Aufklärungsinteresse des Versicherers an der Fahrtüchtigkeit des Versicherungsnehmers schützt.[100] Das LG Düsseldorf[101] geht auch nach neuer Rechtslage von einer Leistungsfreiheit des Versicherers aus, weil der Unfallflüchtige stets "arglistig" handele. Nach einer weiteren Entscheidung des LG Saarbrücken[102] ist der Haftpflichtversicherer wegen Arglist leistungsfrei. Eine Verurteilung ist nicht erforderlich; für die Leistungsfreiheit des Versicherers genügt eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO.[103]

 

Rz. 98

§ 142 StGB dürfte restriktiv anzuwenden sein, da es mit der freiheitlichen Grundordnung nur schwer zu vereinbaren ist, dass ein Täter nach einem Verkehrsdelikt sich selbst der Polizei stellen muss, während es eine derartige Vorschrift bei anderen Straftaten, nicht einmal bei Verbrechen, nicht gibt.

Nach diesseitiger Auffassung dürfte daher eine Unfallflucht nur dann zu berücksichtigen sein, wenn sie sich tatsächlich auf die Feststellungen zur Leistungspflicht des Versicherers dem Grunde oder der Höhe nach auswirkt.

 

Rz. 99

Nach Auffassung des LG Düsseldorf[104] und des LG Saarbrücken[105] handelt der Unfallflüchtige arglistig, da das Verbleiben an der Unfallstelle eine elementare und allgemein bekannte Rechtspflicht sein soll. In derartigen Fällen soll nach Auffassung des Kammergerichts[106] bei Unfallflucht der Kausalitätsgegenbeweis nicht möglich sein. Auch das OLG Frankfurt[107] geht bei Unfallflucht von Arglist aus.

Der BGH[108] hat durch Urteil vom 21.11.2012 seine bisherige Rechtsprechung zur Unfallflucht relativiert und ausgeführt, dass bei Unfallflucht nicht generell von Arglist auszugehen sei. Ebenso wird in dieser Entscheidung ausgeführt, dass ein Kausalitätsgegenbeweis möglich ist mit dem Nachweis, dass die Beachtung der aus § 142 Abs. 2 StGB folgenden Rechtspflichten keine zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten verschafft hätte.

In der Entscheidung vom 21.11.2012[109] heißt es, dass es genügt, wenn der Versicherungsnehmer seinen eigenen Versicherer über den Unfall informiert zu einem Zeitpunkt, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit hätte abwehren können. Der BGH führt aus, das Aufklärungsinteresse des Versicherers werde "durch die unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten".

 

Rz. 100

Bei Unfallflucht liegt eine über 2.500 EUR hinausgehende Leistungsfreiheit bis 5.000 EUR nur dann vor, wenn das Gesamtverhalten über die üblichen Pflichtverstöße hinausgeht[110] oder ein Personenschaden eingetreten ist.[111]

 

Rz. 101

Bei Unfallflucht nach zwei aufeinanderfolgenden Unfällen kann der Versicherer zweimal Regress nehmen.[112]

Nach Auffassung des AG Aachen[113] findet keine Verdoppelung der Regressforderung statt, wenn sich diese gegen den Fahrer und den Halter richtet.

 

Rz. 102

Die Höchstbeträge der Leistungsfreiheit gemäß § 5 Abs. 3 KfzPflVV und gemäß § 6 Abs. 1 KfzPflVV sind die Kappungsgrenze. Der an sich geschuldete Gesamtbetrag ist zu quotieren, die vorgenannten Beträge sind die Höchstgrenze.[114]

[100] BGH r+s 2000,94 = DAR 2000, 113 = NJW-RR 2000,553; OLG Nürnberg SP 2000, 389; OLG Frankfurt, 7. Zivilsenat, SP 2002, 31, KG SP 2003, 287; OLG Köln SP 2006, 213; OLG Saarbrücken, 5 U 424/08, zfs 2009, 396; a.A. OLG Frankfurt, 3. Zivilsenat, zfs 2006, 577 = NJW-RR 2006, 538; Aufsatz Majerle, VersR 2011, 1492 mit umfassender Rechtsprechungsübersicht; Aufsatz Maier, r+s 2016, 64 ff.
[101] LG Düsseldorf, 20 S 7/10, MDR 2010, 1319; LG Düsseldorf, 9 S 27/14, zfs 2015, 695.
[102] LG Saarbrücken, 13 S 75/10, zfs 2010, 630.
[103] OLG Stuttgart, 7 U 121/14, zfs 2015, 96 m. Anm. Rixecker, LG Köln, 11 S 436/08, SP 2010, 266.
[104] 20 S 7/10, SP 11, 86.
[105] 13 S 75/10, NJW-RR 2011, 187.
[106] 6 U 66/10, zfs 2011, 93, OLG Naumburg, 4 U 85/11, NJW-RR 2013, 37 = VersR 2013, 179; a.A. LG Offenburg, 1 S 3/11, SP 2011, 406.
[107] 14 U 208/14, SP 2015, 373 = r+s 2016, 70.
[108] IV ZR 97/11, zfs 2013, 91 = VersR 2013, 175 = SP 2013, 119 = r+s 2013, 61 = NZV 2013, 179; LG Bonn, 8 S 118/13, zfs 2014, 215 = SP 2014, 94.
[109] BGH, IV ZR 97/11, DAR 2013, 79 = zfs 2013, 91 = VersR 2013, 175 = SP 2013, 119 = r+s 2013, 61 = NZV 2013, 179; LG Bonn, 8 S 118/13, zfs 2014, 215 = SP 2014, 94.
[110] OLG Düsseldorf, zfs 2004, 364 = r+s 2004...

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