Rz. 65

Unter einer "Individualabrede" i.S.v. § 305 lit. b BGB ist jede Vereinbarung zu verstehen, die i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB im Einzelnen ausgehandelt worden ist. Zudem fallen darunter aber auch solche Vereinbarungen, die nicht den strengen Anforderungen des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB genügen.[349]

Individualabreden, die auch noch nach Vertragsschluss getroffen werden können, beinhalten ausdrücklich (schriftlich [auch in hand- oder maschinenschriftlichen Einfügungen[350] oder in einem Bestätigungsschreiben][351] bzw. mündlich) oder sogar stillschweigend[352] eine gegenüber (auch mit einbezogenen) Allgemeinen Geschäftsbedingungen besonders (d.h. gesondert) ausgehandelte Regelung. Dabei setzt ein Aushandeln mehr als ein bloßes "Verhandeln" voraus.[353] Individualabreden sind damit alle Vereinbarungen, die gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB (siehe Rdn 59 ff.) im Einzelnen ausgehandelt werden, darüber hinaus aber – dem Schutzzweck des AGB-Rechts entsprechend – auch nicht diesen strengen Anforderungen entsprechende Abreden.[354]

 

Rz. 66

Die Praxis beschäftigt sich oft mit der Abgrenzung der Allgemeinen Geschäftsbedingung von der Individualklausel – mithin zwischen den §§ 305 Abs. 1 S. 1 und 3, 305 lit. b BGB. In der Bring-or-pay-Entscheidung des BGH[355] ist nicht weiter auf die in der Litera­tur geführte Diskussion eingegangen worden, ob im unternehmerischen Bereich (B2B) an das Tatbestandsmerkmal "Aushandeln" (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB) reduzierte Anforderungen zu stellen sind.[356] Vielmehr rekurriert der BGH in dieser Entscheidung auf seine bisherige ständige Judikatur,[357] wonach "Aushandeln" zur Voraussetzung hat, dass der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt der in Rede stehenden Klausel eindeutig und ernsthaft zur Diskussion stellen muss, sodass der andere Teil eine reale Möglichkeit erhält, Eigeninteressen zu wahren – einschließlich der Eröffnung einer Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Klausel tatsächlich zu beeinflussen[358] (Eröffnung einer Einflussmöglichkeit auf die inhaltliche Gestaltung des vorgelegten und unverändert gebliebenen Textes[359] – was auch für den unternehmerischen Verkehr Geltung beansprucht[360]). Der BGH[361] verlangt, dass der Verwender nicht nur einen bestimmten Teilbereich (geringfügiges Nachgeben in einem Randbereich) des gesetzesverändernden Kerngehalts der vorformulierten Klausel zur Disposition des Kunden stellen muss, sondern den gesamten Klauselinhalt (soweit er im Detail Änderungen vom dispositiven Recht vorsieht).

Damit bedingt eine Individualabrede grundsätzlich eine Abänderung der vorgelegten Klausel[362] (Notwendigkeit, dass der Kunde nach einer intensiven juristischen Prüfung letztlich den ausführlich verhandelten Vertragstext im Rahmen seiner Vertragsgestaltungsfreiheit i.S. einer autonomen, rechtsgeschäftlichen Willensentscheidung[363] billigt).

 

Rz. 67

Voraussetzung einer Individualabrede ist die ernsthafte Verhandlungsbereitschaft des Verwenders über den Vertragsinhalt, die er dem Kunden gegenüber unzweideutig mitgeteilt hat,[364] die sich aber auch aus seinem Vorverhalten (im Zusammenhang mit früheren Vertragsabschlüssen) ergeben kann. Grüneberg[365] weist daraufhin, dass, wer sich angeblich immer verhandlungsbereit zeigt, tatsächlich aber nie zu einer Änderung bereit ist, sich regelmäßig nicht auf § 305 Abs. 1 S. 3 BGB berufen kann. Auch eine allgemein geäußerte Bereitschaft des Verwenders, belastende Klauseln abzuändern, ist ebenso wenig ausreichend[366] wie seine Erklärung, er stelle die Unterzeichnung einer Regelung frei.[367]

Der Verwender einer Klausel kann sich zur Darlegung eines "Aushandelns" nicht ausschließlich auf eine individualrechtliche Vereinbarung, nach der über die Klausel "ernsthaft und ausgiebig verhandelt wurde", berufen:[368] Der BGH fordert nämlich für ein "Aushandeln" mehr als ein "Verhandeln". "Aushandeln" liegt vor, wenn der Verwender zunächst den in seinen AGB enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt – mithin den wesentlichen Inhalt der gesetzliche Regelungen ändernden oder ergänzenden Bestimmungen – inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen – wobei er sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären muss.[369] Steht dies in Frage, muss der Verwender die entsprechenden Umstände darlegen.[370] Ein nur allgemein gehaltener Hinweis, alle Vertragsbedingungen hätten zur Disposition gestanden, enthält damit nicht die notwendige Konkretisierung hinsichtlich der Kerngehalte der einzelnen Klauseln: Könnte der Verwender allein durch eine solche Klausel die Darlegung eines "Aushandelns" stützen, bestünde – so der BGH[371] – die Gefahr der Manipulation und der Umgehung des Schutzes der §§ 305 ff. BGB.

Mit dem Schutzzweck der §§ 305 ff. BGB ist es nämlich nicht zu vereinbaren, wenn die Vertragsparteien unabhängig von ...

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