Rz. 23

Erster und wichtigster Fall des Arbeitsunfalls ist der unproblematische Fall des § 105 SGB VII. Es geht hierbei um Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall eines Versicherten desselben Betriebes verursachen (§ 105 Abs. 1 SGB VII). Dies ist sicherlich der häufigste Fall des Arbeitsunfalls. Wichtigste Voraussetzung hierbei ist, dass es sich bei der Tätigkeit, durch die der Schaden hervorgerufen wird, um eine betriebliche Tätigkeit handelt. Nicht um eine betriebliche Tätigkeit handelt es sich z.B. dann, wenn ein Auszubildender einen anderen dadurch verletzt, dass er mit Gegenständen nach diesem wirft. Dies hat mit der Ausbildung als solcher nichts zu tun, sondern stellt eine betriebsfremde Tätigkeit dar (Hess. LAG, Urt. v. 20.8.2013 – 13 Sa 269/13, UV-Recht aktuell 2013, 1188, Revision durch das BAG mit Beschl. v. 19.3.2015 zurückgewiesen). Im konkreten Fall hatte ein Auszubildender mit einem Wurfgewicht nach einem Kollegen geworfen. Für diesen Kollegen handelt es sich um einen Arbeitsunfall, jedoch lag keine betriebliche Tätigkeit beim Schädiger vor.

 

Rz. 24

Schädigt ein versicherter Betriebsangehöriger einen nicht versicherten Unternehmer, gilt für ihn § 105 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Er ist haftungsprivilegiert. In diesen Fällen hat der nicht versicherte Unternehmer ausnahmsweise den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Anders als sonst wird der Arbeitsunfall des Unternehmers über die zivilrechtliche Frage der Haftungsprivilegierung beantwortet.

 

Rz. 25

In der sog. Praktikantenentscheidung hat der BGH entschieden, dass die Sozialgerichte bindend feststellen, welchem Unfallbetrieb der Geschädigte zugeordnet ist. Nach früherer Rechtsprechung konnte dann trotzdem die betriebliche Tätigkeit des Schädigers diesem Betrieb zugerechnet werden mit der Folge, dass die Ansprüche verloren gingen. In der genannten Entscheidung vom 19.5.2009 hat der BGH seine Rechtsprechung geändert. Danach sind die Zivilgerichte daran gehindert, die Tätigkeit zuzurechnen mit der Folge, dass eine Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII nicht mehr erfolgt (VersR 2009, 1074).

 

Praxistipp

In den Fällen, in denen eine Person in einem anderen Betrieb verletzt wird, greift im Regelfall § 106 Abs. 3 SGB VII mit der Folge, dass auch hier der Schädiger haftungsprivilegiert ist.

 

Hinweis

In Fällen eines Leiharbeiters hat der BGH entschieden, dass dieser in den Betrieb des Entleihers integriert ist. Daher gilt für Leiharbeiter unmittelbar § 105 SGB VII (BGH zfs 2015, 321).

 

Rz. 26

Ein wichtiger Fall der Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII ist der sog. Wie-Beschäftigte. Dieser Fall liegt dann vor, wenn eine Person in einen Betrieb integriert ist und dort wie ein Beschäftigter behandelt wird. Wichtigstes Kriterium dabei ist, dass er dem Weisungsrecht des Unternehmers unterliegt.

 

Rz. 27

Weiterer häufiger Fall für § 105 SGB VII sind Schulunfälle. Hier hat der BGH mehrfach entschieden, dass auch das Warten an der Bushaltestelle und das gemeinsame Raufen dort noch eine betriebsbezogene Tätigkeit darstellt. Kinder sind in der Entwicklung und hier gehören diese Spiele dazu. Deswegen sind Schulkinder bis zum Einsteigen in den Schulbus zumindest von der Haftung ausgenommen. Dies gilt beispielsweise auch für eine Schneeballschlacht (BGH zfs 2009, 16) und für das Schubsen unter den Schulbus etc.

 

Rz. 28

Für die Fälle der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung wird § 105 SGB VII in den seltensten Fällen relevant werden. Wichtig für die betriebliche Tätigkeit sind im Straßenverkehr die Fälle, in denen der Arbeitsweg begonnen wurde bzw. angetreten wird. Hier finden immer wieder Unfälle zwischen Arbeitskollegen statt. Die Rechtsprechung begrenzt für den gemeinsamen Arbeitsweg die Haftungsprivilegierung auf die Fälle, in denen der Heimweg in einem Fahrzeug vom Arbeitgeber organisiert wird. Klassischer Fall ist hier die Maurerkolonne. Die Mitarbeiter werden an den unterschiedlichen Wohnorten abgeholt und gesammelt, vom Arbeitgeber organisiert, zur Arbeitsstätte gefahren. Bei diesen betrieblich organisierten Fahrten gilt bei Unfällen das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII.

Das Gleiche gilt beispielsweise auch für Fahrten mit Schulbussen etc., sofern diese von der Schule organisiert und unter der Weisung der Schulleitung oder Schulbehörde fahren. Wenn ein Schulbus von einem unabhängigen Unternehmen, z.B. der DB oder örtlichen Busunternehmen, betrieben wird und nicht der Weisung der Schule unterliegt, findet eine Haftungsprivilegierung nicht statt. Wird ein Schüler auf einer solchen Fahrt verletzt, stehen ihm sämtliche Ansprüche zu. Insbesondere bei Kleintransporten zu Förderschulen und speziellen Einrichtungen ist jeweils genau zu prüfen, wer die Fahrten durchführt. Werden diese unter Regie der Schule, d.h. insbesondere mit Weisungsrecht der Schule, durchgeführt, sind Schädiger bei diesen Fahrten haftungsprivilegiert. Ist dies nicht der Fall, insbesondere dann, wenn die Schule kein Weisungsrecht hat, stehen dem Geschädigten sämtliche Anspr...

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