Rz. 373

Das Arbeitsentgelt wird in einer finanziellen Zwangslage des Arbeitgebers häufig vorfinanziert, um die Arbeitnehmer im Unternehmen zu halten. In der Praxis treten vor allem zwei Arten der Vorfinanzierung auf:

Forderungskauf: Hierbei verkauft der Arbeitnehmer seine Lohnforderung an eine Bank oder Sparkasse; die Bank oder Sparkasse zahlt ihm eine dem Nettolohn entsprechende Summe anstelle des Lohns.
Kreditierungsverfahren: Hierbei erhält der Arbeitnehmer von der Bank oder Sparkasse einen Kredit in Höhe seiner Arbeitsvergütung und tritt zur Sicherung dieses Kredits seinen Anspruch auf Arbeitsentgelt ab.
 

Rz. 374

In beiden Fällen ist die Bank oder Sparkasse im Falle der Insolvenz durch den Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld gesichert. Da das BSG in allen Fällen die Anwendung des § 400 BGB abgelehnt hat,[249] ist die Bank oder Sparkasse in voller Höhe Inhaberin des Anspruchs auf Arbeitsentgelt und damit auch des Insolvenzgeldanspruchs.

 

Rz. 375

Die Bundesagentur für Arbeit hat in ihren aktualisierten Durchführungsanweisungen zu § 170 (3.2 Abs. 2) klargestellt, dass auch im Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) die Gewährung von Insolvenzgeld bzw. dessen Vorfinanzierung möglich ist und weiter ausgeführt, die Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen nach § 170 Abs. 4 sei grundsätzlich auch während eines Schutzschirmverfahrens möglich, sobald das Gericht eine entsprechende Anordnung nach § 270b Abs. 1 InsO getroffen habe. Die Gewährung von Insolvenzgeld hänge auch in diesem Fall vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab. Komme es daher zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass das Gericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens anordne oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ablehne, scheide die Gewährung von Insolvenzgeld aus.

Die Vorteile des Schutzschirmverfahrens wären stark eingeschränkt, wenn in diesem Verfahren kein Insolvenzgeld zur Verfügung stünde.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass § 270b Abs. 3 S. 2 InsO ausdrücklich nur auf § 55 Abs. 2 InsO verweist. In der Praxis wird diskutiert, ob auch § 55 Abs. 3 InsO im Schutzschirmverfahren anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift sind Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit wegen der Zahlung von Insolvenzgeld immer Insolvenzforderungen, insbesondere, wenn ein starker vorläufiger Verwalter die Arbeitsleistung in Anspruch genommen hat. In einem "Erst-Recht-Schluss" kann nichts anderes für das Schutzschirmverfahren gelten. Die Bundesagentur für Arbeit vertritt die Auffassung, dass eine direkte Anwendbarkeit des § 55 Abs. 3 InsO anzunehmen ist, weil nach § 270b Abs. 3 S. 2 InsO vom eigenverwaltenden Schuldner im Schutzschirmverfahren eingegangene Verbindlichkeiten als nach § 55 Abs. 2 InsO begründete Verbindlichkeiten gelten. Die Bundesagentur könne gemäß § 169 SGB III übergegangene Arbeitsentgeltansprüche nur als Insolvenzforderungen gelten machen.

Die Beitragsforderungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 150 SGB VII sind den in § 175 SGB III genannten Beitragsansprüchen gleichgestellt, so dass sich die Regelung des § 55 Abs. 3 S. 2 InsO (a.F.) auch auf diese erstreckt.[250]

 

Rz. 376

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Vorfinanzierung des Arbeitsentgelts die Gewährung des Insolvenzgeldes missbraucht wird, um Arbeitgeberunternehmen oder Gläubiger des Unternehmens, das nicht mehr in der Lage ist, Arbeitsentgelt zu zahlen, auf dem Markt zu halten, indem die öffentliche Hand (hier: die Gemeinschaft der umlagepflichtigen Unternehmen) die Kosten trägt. Deswegen ist die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte durch Übertragung oder Verpfändung vor dem Insolvenzereignis von der Zustimmung der Agentur für Arbeit abhängig.

 

Rz. 377

Dies hat allerdings nicht die Folge, dass bei einer fehlenden Zustimmung der Arbeitnehmer kein Insolvenzgeld erhält. Diese Leistung wird ihm gleichwohl gewährt. Allerdings hat der Empfänger der Abtretung bzw. Verpfändung keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Dieser ist nur dann gegeben, wenn eine Zustimmung der Arbeitsagentur vorliegt oder die Zustimmung nachträglich erteilt wird.

 

Rz. 378

 

Hinweis

Die Bundesagentur für Arbeit geht (entgegen dem Wortlaut des Gesetzes) davon aus, dass eine individuelle Vereinbarung zur Vorfinanzierung des Arbeitsentgelts nicht dem Wirksamkeitserfordernis des Abs. 4 unterliegt, weil dies nur bei kollektiven Vorfinanzierungen zu beachten sei.[251]

 

Rz. 379

Die Zustimmung setzt voraus, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Arbeitsplätze im Rahmen eines Sanierungsversuchs zu einem erheblichen Teil erhalten bleiben. Im Rahmen dieser Prognose ist die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers, aber auch die gesamtwirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Bei der anzustellenden Prognose haben Arbeitsagenturen und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit einen Beurteilungsspielraum.[252]

 

Rz. 380

Von Bedeutung kann hier auch das Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters sein. Des Weiteren kommen die Bereitstellung von Sanierungskrediten, ein Schu...

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