Rz. 57
Lange streitig und nicht abschließend geklärt war, ob die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer, die von dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis (sog. starker vorläufigen Insolvenzverwalter) nach § 22 Abs. 1 InsO weiterbeschäftigt worden sind, Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO sind,[26] oder Insolvenzforderungen nach § 108 Abs. 2 InsO, so dass im letzteren Fall die Möglichkeit der Insolvenzgeld-Vorfinanzierung eröffnet wäre.[27]
Rz. 58
Werden Arbeitnehmer von einem sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis i.S.d. § 22 Abs. 1 InsO vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Arbeitsleistung herangezogen und zahlt ihnen die Bundesagentur für Arbeit für diesen Zeitraum Insolvenzgeld, so sind nach der Auffassung des Arbeitsgerichts Bielefeld[28] und des LAG Hamm[29] die auf die Bundesagentur für Arbeit nach den §§ 183, 187 SGB III a.F. (jetzt: §§ 169, 165 SGB III) übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche keine Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO, sondern nach dieser Auffassung einfache Insolvenzforderungen gem. §§ 38, 108 Abs. 2 InsO.
Rz. 59
Das BAG[30] hat dies für die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Entgeltforderungen bestätigt: Entgeltforderungen der Arbeitnehmer, die von einem nach § 21 Abs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 1 InsO mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters beschäftigt worden sind, gelten nach § 55 Abs. 2 S. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten. Weder nach Wortlaut noch nach Systematik oder Regelungsziel des Gesetzgebers kommt § 108 Abs. 2 InsO gegenüber § 55 Abs. 2 InsO ein Vorrang zu. Das Vorzugsrecht des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO dient nur dem Schutz der Vertragspartner, die wegen der Inanspruchnahme durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ein mit dem Schuldner bestehendes Dauerschuldverhältnis erfüllen. Es geht nicht auf die Bundesagentur für Arbeit über, wenn die Arbeitnehmer für die von dem vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Arbeitsentgeltansprüche Insolvenzgeld beantragen. Art. 87 EG steht dieser Auslegung des § 55 Abs. 2 S. 2 InsO nicht entgegen, denn die Entlastung der Masse geschieht hier nicht selektiv. Die Möglichkeit, Insolvenzgeld ohne vorzugsweise Befriedigung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen, besteht gleichermaßen für Unternehmen aller Branchen, die insolvent werden und deren Sanierung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingeleitet wird.
Rz. 60
Die letzte Unsicherheit wurde auf Druck der Insolvenzverwalter mit dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz vom 26.10.2001[31] beseitigt. Gemäß dem danach angefügten § 55 Abs. 3 InsO sind die nach § 169 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Forderungen immer nur einfache Insolvenzforderungen, und zwar nunmehr sogar auch dann, wenn der vorläufige Verwalter mit Verfügungsbefugnis ausgestattet war.
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