Rz. 148

Nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen ist der Arbeitnehmer darlegungs- und gegebenenfalls beweisbelastet für das Vorliegen einer Massenentlassung. Er muss deshalb sowohl die Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer als auch die Zahl der entlassenen Arbeitnehmer im Streitfall darlegen und beweisen.[296] Um die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht zu beeinträchtigen, dürfen die (grundsätzlich nach ­nationalem Recht zu bestimmenden) prozessualen Darlegungs- und Beweislastregeln allerdings nicht dazu führen, dass die Ausübung der Rechte aus einer Richtlinie praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden. Sie dürfen deshalb nicht verlangen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter, die gegen Massenentlassungen ­vorgehen wollen, Nachweise für Umstände erbringen müssen, von denen in der Praxis nicht erwartet werden kann, dass sie Zugang zu den dafür erforderlichen Informationen haben.[297] Diesen Anforderungen ist mit einer sachgerecht abgestuften Verteilung der Darlegungs- und Beweisast Rechnung zu tragen.[298] Der Arbeitgeber hat sich deshalb im Rahmen einer sekundären Darlegungslast zu Behauptungen über das Vorliegen einer Massenentlassung substantiiert zu erklären, soweit der Arbeitnehmer Detailkenntnisse nicht hat und auch nicht erwerben kann.

 

Rz. 149

 

Hinweis

Das Arbeitsgericht hat allerdings auch ohne konkrete Rüge des Arbeitnehmers die Verletzung des § 17 KSchG von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sich aus dem Parteivortrag entsprechende Anhaltspunkte ergeben.[299]

 

Rz. 150

Sind die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Massenentlassung dargelegt, hat der Arbeitgeber die ordnungsgemäße Durchführung der Massenentlassungspflichten darzulegen und zu beweisen.[300] Das Arbeitsgericht kann zudem im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens die Verfahrensakten der zuständigen Arbeitsagentur einsehen.

 

Rz. 151

 

Hinweis

Richtigerweise ist dem Arbeitnehmer auch von der Agentur für Arbeit auf dessen Verlangen Akteneinsicht in die Verfahrensakte zu gewähren, um seiner Darlegungs- und Beweislast nachkommen zu können. Die gegenteilige Auffassung[301] hält diesem Anspruch die schutzwürdigen Interessen der anderen von der Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 IFG entgegen. Insoweit ist allerdings zum einen zu bedenken, dass je nach Größenordnung der Massenentlassung die Angaben in der Anzeige nicht in allen Fällen Rückschlüsse auf die betroffenen Einzelpersonen zulassen und damit von vornherein keine personenbezogenen Daten darstellen werden. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass und weshalb die schutzwürdigen Interessen der in der Anzeige genannten Arbeitnehmer das Informationsinteresse des ebenfalls in der Anzeige aufgeführten Arbeitnehmers überwiegen soll.

[296] BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04; BAG v. 22.3.2001 – 8 AZR 565/00; BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91; APS/Moll, § 18 Rn 51; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn. 40.
[297] Schlussanträge der GA Sharpston vom 21.6.2018 – C-61/17, Bichat.
[298] ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn 40.
[299] BAG v. 18.1.2012 – 6 AZR 407/10; EUArbR/Spelge, RL 98/59/EG, Art. 6 Rn 33.
[300] Krieger/Ludwig, NZA 2010, 919.

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