Rz. 129

Ob auch andere Formen der Entlassung als die Kündigung, etwa arbeitgeberseitig ­veranlasste Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen, bei einer Verletzung der Massenentlassungspflichten der Nichtigkeit anheimfallen, ist von der Rechtsprechung bislang nicht geklärt.

 

Rz. 130

Die überwiegende Auffassung in der Literatur[255] nimmt dies unter Hinweis auf die Entscheidung des BAG vom 28.6.2012[256] an. In dieser Entscheidung hatte das BAG allerdings lediglich darauf hingewiesen, dass arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge Entlassungen i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG darstellten und deshalb in die Massenentlassungsanzeige aufzunehmen seien. Zu der Frage, ob dieser Verstoß rechtliche Auswirkungen auf den Bestand der Aufhebungsverträge selbst hatte, verhält sich die Entscheidung nicht. Auch eine frühere Entscheidung,[257] nach der bei einem Aufhebungsvertrag die Entlassung unwirksam sein sollte, ist nach dem aktuellen Verständnis von dem Entlassungsbegriff überholt.

 

Rz. 131

Aus unionsrechtlicher Sicht ist die Annahme einer Nichtigkeit von Aufhebungsverträgen nicht geboten. Die Richtlinie bezieht andere Beendigungstatbestände als Entlassungen nicht in den Schutzbereich der Richtlinie ein, sondern berücksichtigt diese nur bei den Schwellenwerten. Sie lässt andere Beendigungsformen mithin zwar den Schutz vor Entlassungen vermitteln, bezieht sie aber nicht selbst in den Entlassungsschutz mit ein.[258] Da der Gesetzgeber mit der Einführung des § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG nur der Erweiterung des Anwendungsbereichs in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 92/56/EWG Rechnung tragen wollte,[259] liegt es nahe, auch der Regelung in § 17 Abs. 1 S. 2 KSchG keinen weitergehenden Regelungszweck zu entnehmen. Allein die arbeitgeberseitige Kündigung unterfällt daher dem Schutzbereich der §§ 17 ff. KSchG. Andere Beendigungsformen vermitteln zwar diesen Schutz, sind aber selbst nicht in den Schutzbereich einbezogen. Es gibt deshalb auch keine unionsrechtliche Grundlage dafür, § 17 Abs. 2 KSchG als Verbotsgesetz auch im Hinblick auf den Abschluss von Aufhebungsverträgen anzusehen. Vielmehr bestünden gegen eine solche Annahme verfassungsrechtliche Bedenken, da dem Arbeitnehmer entgegen Art. 12 GG die Disposition über dessen Arbeitsverhältnis verwehrt und ihm die im Rahmen des Aufhebungsvertrages zugesagten Leistungen möglicherweise nachträglich wieder entzogen würden. Arbeitgeberseitig veranlasste Aufhebungsverträge sind deshalb auch dann wirksam, wenn der Arbeitgeber diese bei der Konsultations- oder Anzeigepflicht nicht berücksichtigt hat. Gleiches gilt für arbeitgeberseitig veranlasste Eigenkündigungen. Soweit das BAG in § 17 Abs. 2 KSchG ein Verbotsgesetz erkennt, kann sich dieses Verbot ausschließlich an den Arbeitgeber richten; eine Einschränkung des Kündigungsrechts des Arbeitnehmers, selbst unter Preisgabe ­gesetzlicher Schutzmechanismen, ließe sich mit Art. 12 GG nicht vereinbaren.[260]

[255] Kortmann/Brungs, ArbR 2017, 355; Lipinski, AuA 2016, 335; Pauken, ArbR 2016, 400; zweifelnd Kliemt, in: FS Willemsen, 2018, S. 242.
[258] EUArbR/Spelge, RL 98/59/EG, Art. 1 Rn 32.
[259] Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an das EG-Recht vom 24.5.1994, BR-Drucks 12/7630, S. 13.
[260] Im Ergebnis ebenso EUArbR/Spelge, RL 98/59/EG, Art. 1 Rn 36.

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