Rz. 14

§ 1696 Abs. 1 S. 1 BGB regelt als Grundsatz die Abänderung gerichtlicher Entscheidungen und gerichtlich gebilligter Vergleiche, wenn dies aus triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist.[56]

 

Rz. 15

Die Generalnorm des Abs. 1 S. 1 kommt aber nicht zur Anwendung, wenn

eine vorangegangene positive Entscheidung nach § 1626a Abs. 2 BGB zur Abänderung gestellt wird; denn diese ist nach Maßgabe von § 1671 Abs. 1 BGB zu ändern (§ 1696 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 BGB)
eine der in § 1696 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB genannten Spezialregelungen – §§ 1678 Abs. 2, 1680 Abs. 2, 1681 Abs. 1, 2 BGB, die eigene Abänderungsmaßstäbe enthalten – einschlägig ist
die für kindesschutzrechtliche Maßnahmen (siehe dazu eingehend Rdn 30 ff.) vorrangige Aufhebungsvorschrift des § 1696 Abs. 2 BGB eingreift oder
im Einzelfall § 1666 BGB oder § 1684 Abs. 4 BGB originär vorrangig anzuwenden ist (siehe Rn 9).
[56] OLG Zweibrücken FamRZ 2010, 138; Büttner, FamRZ 1998, 585; Schwab, FamRZ 1998, 457.

I. Zweck des Abänderungsverfahrens

 

Rz. 16

§ 1696 Abs. 1 BGB will die Anpassung einer Sorge- oder Umgangsrechtsregelung an zwischenzeitlich eingetretene oder bekannt gewordene Änderungen ermöglichen, wenn diese aus Kindeswohlgründen erforderlich ist.[57] Daher genügt für eine Abänderung keinesfalls die bloße Berufung darauf, dass die Ausgangsentscheidung falsch gewesen sei.[58] Indem der Gesetzgeber für die Abänderung getroffener kindschaftsrechtlicher Entscheidungen triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe[59] vorausgesetzt hat, wollte er zum Ausdruck bringen, dass nicht jede Änderung ausreichend ist, um ein Abänderungsverfahren einzuleiten.[60] § 1696 hat unter anderem zum – vom EuGHMR ausdrücklich gebilligten – Ziel, Kinder vor fortwährenden Sorgerechtsverfahren zu schützen und für eine stabile und dauerhafte Sorgesituation zu sorgen.[61]

 

Rz. 17

Eine Abänderung kommt nur in Betracht, wenn nach der vorangegangenen Regelung erstmals Tatsachen eingetreten sind oder bekannt werden,[62] die eine veränderte Bewertung rechtfertigen.[63] Bewertungsmaßstab ist allein das Kindeswohl.[64] Der Änderungsgrund muss so gewichtig sein, dass er die mit der erstrebten Änderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegt,[65] und zwar auch unter Einschluss des Kontinuitätsgrundsatzes.[66] Insbesondere widerspricht dem Kindeswohl regelmäßig, wenn der Lebensmittelpunkt ständig in Frage gestellt wird; ein fortdauernder Elternstreit über den Daseinsschwerpunkt des Kindes ist dem Kind nicht zumutbar.[67] Dem Gesetzgeber lag daran, den vielfach bestehenden falschen Erwartungen entgegenzuwirken, sorge- und umgangsrechtliche Verfahren ließen sich beliebig wieder aufrollen.[68] Deswegen soll das Kind eine weitgehende Erziehungskontinuität erfahren.[69] Dabei bezieht sich die Kontinuität auf die Verhältnisse des Elternteils, bei dem das Kind zuletzt gelebt hat.[70] An das Erfordernis neuer Umstände ist daher ein strenger Maßstab anzulegen.[71]

Der Vorrang des Bestandsinteresses an einer existenten Regelung wird aber regelmäßig hinter das Änderungsinteresse zurücktreten, wenn die Eltern einen übereinstimmenden Vorschlag zur Neuregelung der Sorge unterbreiten.[72] Ein schlüssiger Abänderungsantrag setzt daher die konkrete Darlegung voraus, dass und inwieweit sich die für die Ausgangsregelung maßgebenden Tatsachen geändert haben bzw. inwieweit gewichtige Umstände nachträglich erstmals bekannt wurden oder gänzlich neue Umstände erstmals eingetreten sind.[73]

[57] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.2.2012 – 9 UF 144/11 (n.v.) OLG Celle FamRZ 1996, 1559; Büttner, FamRZ 1998, 585.
[58] OLG Düsseldorf NZFam 2014, 1152.
[60] BT-Drucks 13/4899, S. 109.
[61] EuGHMR, Entsch. v. 9.10.2012 – 545/08, juris; vgl. auch BVerfG FamRZ 2015 210.
[62] KG, Beschl. v. 6.5.2016 – 13 UF 40/16, juris; OLG Thüringen FamRZ 2005, 52; OLG Bamberg FamRZ 1990, 1135.
[63] OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.7.2008 – 10 UF 53/08, juris.
[64] BVerfG ZKJ 2012, 186 m. Anm. Coester, ZKJ 2012, 182; OLG Hamm DAVorm 1984, 918.
[65] BVerfG FamRZ 2008, 1737; VerfG Brandenburg, Beschl. v. 19.10.2012 – 72/11, juris; BGH FamRZ 1993, 314; NJW-RR 1986, 1130; KG, Beschl. v. 6.5.2016 – 13 UF 40/16, juris; OLG Frankfurt FamRZ 2014, 317; 2011, 1875 m.w.N.; OLG Düsseldorf NZFam 2014, 1152; OLG Jena FamRZ 2014, 953 (Möglichkeit des zweisprachigen Aufwachsens reicht allein nicht); OLG Karlsruhe FamRZ 2014, 1124 OLG München NZFam 2014, 809.
[66] BVerfG ZKJ 2012, 186 m. Anm. Coester, ZKJ 2012, 182; OLG Karlsruhe OLGR 2000, 241; OLG Köln FamRZ 2005, 1276; OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 45; OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1993.
[68] Vgl. BVerfG FamRZ 2015, 210; BT-Drucks 13/4899, S. 109.
[69] OLG Jena FamRZ 2014, 953; OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1861; Huber, FamRZ 1999, 1625.
[70] BVerfG FamRZ 2015, 210.
[71] BVerfG FamRZ 2008, 1737; Anm. Völker, FamRB 2008, 334; OLG Schleswig FamRZ 2014, 1374.
[72] AG Landstuhl FamRZ 1997, 103.
[73] OLG Jena FamRZ 2014, 953; vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13...

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