A. Einführung

 

Rz. 1

Nach allgemeiner Erkenntnis findet im Wettbewerbsprozess kein natürlicher Ausgleich der individuellen Interessen statt; vielmehr müssen Regeln und Einrichtungen geschaffen werden, um Machtkonzentrationen bei Einzelnen oder Gruppen zu verhindern, damit diese ihre Vorhaben nicht gegen die Absichten aller anderen durchsetzen können.[1] Kartellrechtliche Bestimmungen haben deshalb einerseits die wirtschaftliche Handlungs- und Betätigungsfreiheit der Marktteilnehmer zu gewährleisten und andererseits den Marktmechanismus wegen seiner positiven Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt zu sichern; die Regelungen dienen damit sowohl dem privaten als auch dem öffentlichen Interesse.[2] Weder das deutsche noch das europäische Kartellrecht definiert den Begriff des Kartells; es wird vielmehr bestimmt, welche Vereinbarungen und Verhaltensweisen im Wettbewerbsprozess unzulässig sind.

[1] Siehe Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 1958, BT-Drucks 1000, S. 7.
[2] Siehe Langen/Bunte, Einl. zum GWB, Rn 74 ff.; Immenga/Mestmäcker, Bd. 2, § 1 GWB Rn 11 ff.; für das EG-Kartellrecht EuGH Rs. 136/79 (National Panasonic/Kommission), Slg. 1980, 2033, 2057.

I. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)

1. Aufbau und Anwendungsbereich

 

Rz. 2

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)[3] vom 1.1.1958 wurde mit der 7. GWB-Novelle von 2005 weitgehend an das EU-Kartellrecht angeglichen. Mit der aktuellen 10. GWB-Novelle von 2021 rückt die Digitalwirtschaft weiter in den Fokus.[4] Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen im horizontalen und vertikalen Sinn werden von der zentralen Verbotsnorm des § 1 GWB erfasst. Freistellungen von diesem Verbot sind nach dem Prinzip der Legalausnahme gemäß der Generalklausel des § 2 GWB zu beurteilen. Die Freistellungstatbestände sind dem Europarecht angeglichen. Sonderregeln bestehen für Mittelstandskartelle (§ 3 GWB), die Landwirtschaft (§ 28 GWB), das Zeitungs- und Zeitschriftenwesen (§ 30 GWB) und die Wasserwirtschaft (§§ 31 ff. GWB). Verschiedene Missbrauchs-, Diskriminierungs- und Boykottverbote werden in den §§ 1821 GWB und für die Energiewirtschaft gesondert in § 29 GWB und der Erlass von Wettbewerbsregeln durch Wirtschafts- und Berufsvereinigungen in den §§ 2427 GWB geregelt. Bestimmungen über die Zusammenschlusskontrolle enthält das GWB in den §§ 35–43.

Normadressaten des GWB sind Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, nicht jedoch Privatpersonen. Das Gesetz ist auch auf Unternehmen der öffentlichen Hand anzuwenden (§ 185 Abs. 1 GWB) und allgemein auf jedes Handeln eines Hoheitsträgers, wenn er der Sache nach eine in den Wettbewerb eingreifende Maßnahme getroffen und dabei den ihm durch das öffentliche Recht zugewiesenen Aufgabenbereich eindeutig verlassen hat.[5]

Das GWB findet Anwendung auf alle Wettbewerbsbeschränkungen, die sich im Geltungsbereich des Gesetzes auswirken, selbst wenn sie außerhalb dessen veranlasst werden; das gilt auch für Ausfuhrkartelle (§ 185 Abs. 2 GWB).

Für die praktische Handhabung hat das Bundeskartellamt verschiedene Bekanntmachungen, Merkblätter und Verwaltungsgrundsätze zur Anwendung des GWB herausgegeben. Darin werden Hinweise formeller und materieller Art gegeben und die Auffassung des Bundeskartellamtes in maßgeblichen Bereichen dargestellt.[6] Das Bundeskartellamt greift in der Praxis wegen des Gleichlaufs von deutschem und EU-Kartellrecht auch auf die Mitteilungen und Bekanntmachungen der EU-Kommission zurück.[7]

[3] IdF der Bekanntmachung v. 26.6.2013 (BGBl I 2013, 1750, 3245), zul. geänd. durch Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes v. 9.3.2021 (BGBl I 2021, 327).
[4] Zentrale Bedeutung bei der Regulierung überragend wichtiger Marktteilnehmer vor allem auf digitalen Märkten kommt dem neuen § 19a GWB zu; zudem erhöht die Novelle die Schwellenwerte der nationalen Fusionskontrolle (§ 35 GWB); weiterhin gibt es zahlreiche Erleichterungen sowie Verschärfungen im Kartellbußgeldverfahren (§§ 81 ff. GWB).
[5] KG WuW/E DE-R 427.
[6] Wiedergegeben auf der Internetseite des Bundeskartellamtes www.bundeskartellamt.de unter den Reitern Kartellverbot, Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle, jeweils unter Materialien – Merkblätter.
[7] Langen/Bunte, § 2 GWB Rn 14 ff.

2. Sonderregeln Telekommunikation und Post

 

Rz. 3

Für den Bereich Telekommunikationswirtschaft bestehen im Telekommunikationsgesetz (TKG) besondere Regelungen zur Marktregulierung, wozu Vorschriften über die Zugangsregulierung (§§ 1626 TKG) und die Entgeltregulierung (§§ 2739 TKG) gehören. Die Aufgaben und Befugnisse nach dem TKG werden von der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen[8] wahrgenommen (§§ 116 ff. TKG). Soweit im TKG nicht ausdrücklich abschließende Regelungen getroffen werden, bleibt auch das GWB anwendbar; die Zuständigkeiten der Kartellbehörden werden nicht berührt (§ 2 Abs. 4 TKG).[9] Vorgeschrieben ist daher die Zusammenarbeit zwischen Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (§ 123 Abs. 1 TKG). So müssen etwa beide Behörden in ihren Verfahren dem jeweils anderen Amt Gelegenheit zur Stellungnahme geben oder Beobachtu...

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