Rz. 20

Von der Anhörung i.R.d. Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist die Anhörung i.R.d. verwaltungsrechtlichen Fahrtenbuchanordnung zu unterscheiden. Nach § 28 VwVfG[51] ist dem Fahrzeughalter nämlich vor Erlass des Verwaltungsaktes "Fahrtenbuchanordnung" Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, § 28 Abs. 1 VwVfG.[52] Von dieser grundsätzlich bestehenden Anhörungspflicht "kann abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist" (§ 28 Abs. 2 1. Hs. VwVfG), wobei § 28 Abs. 2 VwVfG dann fünf Fälle nennt, in denen die Anhörung "insbesondere" entbehrlich ist. Die Auflistung der Ausnahmegründe ist damit insgesamt nicht abschließend. Sie unterbleibt ferner, "wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht" (§ 28 Abs. 3 VwVfG).

 

Rz. 21

Vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des "rechtlichen Gehörs"“ ist an die Anerkennung der über die in § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG genannten Ausnahmefälle hinaus ein strenger Maßstab anzulegen.[53] Insbesondere ist die Anhörung vor Erlass einer Fahrtenbuchanordnung nicht schon deshalb entbehrlich, weil bereits im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens eine Anhörung erfolgt. Das ist zum einen Konsequenz aus der Tatsache, dass das repressive Bußgeldverfahren und das gefahrenabwehrrechtliche Verwaltungsverfahren der Fahrtenbuchanordnung anerkanntermaßen unterschiedliche Intensionen und Zielsetzungen bedienen und deshalb auch unterschiedlichen Verfahrensregelungen unterworfen sind.

 

Rz. 22

Zum anderen geht es bei der Anhörung zur Fahrtenbuchanordnung um die Anhörung zu Tatsachen, Behauptungen, Ermittlungsergebnissen und um damit regelmäßig zusammenhängende Rechtsfragen,[54] die im Bußgeldverfahren noch keine Rolle gespielt haben, wie z.B. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Fahrtenbuchanordnung, pflichtgemäße Ermessensausübung über das "Ob" und "Wie" der Anordnung, Erstreckung der Anordnung auf Ersatzfahrzeuge, Dauer der Anordnung, Mitwirkungspflicht des Halters, aber auch um die Tatsache, ob und inwieweit zur Feststellung des Fahrzeugführers ausreichend ermittelt wurde i.S.d. § 31a StVZO. Insofern ist die Anhörung zur Fahrtenbuchanordnung nicht bereits deshalb entbehrlich i.S.d. § 28 Abs. 2 VwVfG, weil neben der im Ordnungswidrigkeitsverfahren erfolgten Anhörung "nichts weiteres verfahrensrechtlich Relevantes erwartet werden kann".

 

Rz. 23

Mit der Anhörung i.R.d § 28 VwVfG ist dem Halter allerdings die Möglichkeit abgeschnitten, nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens den Erlass einer Fahrtenbuchanordnung mit der Erklärung abzuwenden, dass er der Fahrer gewesen sei. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist nämlich gerade die im Rahmen des Gefahrenabwehrrechts gesetzlich zulässige Reaktion darauf, dass eine Verkehrszuwiderhandlung, bei der sich nicht hat aufklären lassen, wer das Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahren hat, ohne Sanktion hat bleiben müssen. Der durch § 31a StVZO begegneten Gefahr, dass sich Vergleichbares in Zukunft wiederholt, soll nämlich gerade dadurch vorgebeugt werden, dass der Halter zukünftig zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten wird.[55]

 

Rz. 24

Dies ändert aber nichts an der grundsätzlich vor Erlass einer Fahrtenbuchanordnung notwendigen Anhörung nach § 28 VwVfG. Deren Versäumnis kann allerdings im Rahmen des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (§ 45 Abs. 2 VwVfG).[56][57] So ist der Betroffene im Rahmen eines von ihm eingeleiteten Widerspruchsverfahrens bei der Begründung seines Widerspruchs nun in der Lage, jetzt alle Argumente vorzubringen, die sich aus seiner Sicht gegen die Fahrtenbuchauflage ins Feld führen lassen. Nimmt die Behörde die so geltend gemachten Gründe zur Kenntnis, ohne freilich zum Schluss zu gelangen, dass Anlass für einen Abhilfebescheid nach § 72 VwGO besteht und legt sie sodann der Widerspruchsbehörde die Akten zur Entscheidung über den Widerspruch vor, so ist mit dieser Vorgehensweise dem Schutzziel des § 28 VwVfG Genüge getan.[58]

 

Rz. 25

Im Anschluss an ein anwaltliches Schreiben, in dem nach Abschluss der Ermittlungen um Akteneinsicht gebeten wird, kann es zwar sachgerecht sein, dass die Behörde den Betroffenen vor der Verjährung der Ordnungswidrigkeit mit einem inzwischen erweiterten Ermittlungsstand konfrontiert und anhört.[59] Dies gilt aber dann nicht, wenn die Behörde davon ausgehen durfte, dass der Betroffene selbst seine Verfahrensbevollmächtigten rechtzeitig informieren wird.[60]

[51] Vgl. insofern die identischen landesrechtlichen Regelungen, z.B. in § 28 HmbVwVfG, § 28 SaarlVwVfG; § 28 BWVwVfG; § 28 VwVfG NRW; Art. 28 BayVwVfG.
[52] So auch ausdrücklich VG Düsseldorf, Urt. v. 5.3.2015 – 6 K 7123/13, DAR 2016, 220.
[53] Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., § 28 Rn 46.
[54] Vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG, 14. Aufl. § 28 Rn 29 ff., § 45 Rn 23; Hk-VerwR/Schwarz, § 28 VwVfG Rn 26.
[55] VGH BW, Urt. v. 18.6.1991 – 10 S 938/91, NZV 1991, 445 = DAR...

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