Rz. 42

Nach der Rechtsprechung des BGH[47] sind die Kosten für ein vorprozessual erstattetes Privatgutachten zunächst grundsätzlich nur dann als "Kosten des Rechtsstreits" i.S.d. § 91 Abs. 1 ZPO anzusehen, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Dagegen sind diejenigen Aufwendungen, die veranlasst werden, bevor sich der Rechtsstreit einigermaßen konkret abzeichnet, regelmäßig nicht erstattungsfähig. Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Kosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert. Die Partei hat dabei grundsätzlich ihre Einstandspflicht und ihre Ersatzberechtigung in eigener Verantwortung zu prüfen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen. Deshalb genügt die Vorlage eines in diesem Zusammenhang erstellten Gutachtens allein grundsätzlich nicht. Die Tätigkeit des Privatsachverständigen muss vielmehr in unmittelbarer Beziehung zu dem sich konkret abzeichnenden Rechtsstreit stehen.[48]

 

Rz. 43

Die in der Praxis nicht selten umstrittene Frage, ob die Prozessbezogenheit gegeben ist, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Dabei wird auf der Aktivseite auch zu fragen sein, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist. Gleiches gilt für beide Parteien, wenn ohne die Einholung des Privatgutachtens ein nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern ist.[49] Insgesamt ist stets auch in den Blick zu nehmen, wer die Darlegungs- und Beweislast hat und ob es innerprozessuale Möglichkeiten, wie das selbstständige Beweisverfahren, die Anhörung des Gutachters oder der Antrag auf ein weiteres Gutachten nach § 412 ZPO, gibt, um zunächst dem Kostenminderungsgebot zu genügen.[50]

 

Rz. 44

Im Kern umschreibt die Streitfrage allerdings mit dem Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs und der Frage nach dem zeitlichen Zusammenhang zwei wichtige Indizien für die allein entscheidende Frage nach der Prozessbezogenheit des Gutachtens. Besonders relevant wird die Frage bei Prozessen, in denen der Frage eines Versicherungsbetruges nachgegangen werden muss,[51] bei vereinbarten Schiedsgutachten,[52] in Arzthaftungssachen[53] und in Bausachen.

 

Rz. 45

Die dem Grunde nach erstattungsfähigen Kosten eines prozessbegleitend eingeholten Privatgutachtens können nicht deshalb der Höhe nach begrenzt werden, weil die Partei ihrem Gegner den Kostenrahmen des Gutachtens nicht vor dessen Einholung mitgeteilt hat.[54] Die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten richtet sich auch nicht nach den Vergütungssätzen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG).[55] Vielmehr müssen diese nur ortsüblich und angemessen sein. Das Risiko trägt allerdings die beauftragende Partei.

 

Rz. 46

 

Hinweis

Der Bevollmächtigte muss für die Kosten eines Privatgutachtens immer prüfen, ob ggf. ein materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen den Prozessgegner besteht. In Betracht kommen hier vertragliche (Schadensersatz-)Ansprüche wie Ansprüche aus §§ 823, 826 BGB. In diesem Fall kann nämlich ein vollständiger Kostenersatz in Betracht kommen, während bei einer Berücksichtigung im Kostenfestsetzungsverfahren bei einem teilweisen Obsiegen und Unterliegen immer nur die Quote gezahlt wird.[56] In diesem Fall sollte der Ersatzanspruch auch zum Gegenstand des Hauptsacheverfahrens gemacht werden.

[47] Vgl. nur BGHNJW 2017, 1397; BGH NJW 2013, 1820; BGHZ 192, 140; BGHZ 153, 235; BGH VersR 2006, 1236, 1237 f.; BGH VersR 2008, 801.
[48] BGH MDR 2009, 231 = Prozessrecht aktiv 2009, 68.
[50] OLG Koblenz v. 13.4.2017 – 14 W 161/17, MDR 2017, 911 = JurBüro 2017, 483; OLG Koblenz v. 23.6.2016 – 14 W 319/16, NJW-RR 2016, 1273.
[51] BGH NJW-RR 2009, 422; BGH MDR 2009, 231 = Prozessrecht aktiv 2009, 68; BGH NJW 2008, 1597.
[52] Prozessbezogenheit verneint in BGH BauR 2006, 555 = MDR 2006, 657 = NJW-RR 2006, 212.
[53] OLG Karlsruhe OLGR 2005, 639; OLG Saarbrücken JurBüro 1990, 623.
[56] OLG Nürnberg NJW-RR 2005, 1664; Zöller/Herget, 32. Aufl. 2018, § 91 Rn 13 – "Privatgutachten".

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