Rz. 521

Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Gericht die elterliche Sorge oder einen Teil derselben allein überträgt (§ 1671 Abs. 1 BGB).

 

Rz. 522

Ein solcher Antrag ist unproblematisch, wenn er mit Zustimmung des anderen Elternteils erfolgt. In diesen Fällen muss das Gericht dem Antrag stattgeben, es sei denn, das Kind hat bereits das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht (§ 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB) oder die Übertragung der alleinigen Sorge auf den einen Elternteil würde zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen (§ 1671 Abs. 3 BGB).

 

Rz. 523

Fehlt die Zustimmung des anderen Elternteils zu einer Alleinsorge, bedarf es gem. § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB der Feststellung, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

 

Rz. 524

In diesem Zusammenhang ist in Rechtsprechung und Literatur nach wie vor umstritten, ob die gemeinsame elterliche Sorge den gesetzlichen Regelfall darstellt oder ob im Streitfall die in Betracht kommenden Regelungsmöglichkeiten der gemeinsamen Sorge und der Alleinsorge als gleichrangig zu behandeln sind. Ein ganz wesentlicher Streitpunkt dabei ist die Frage, wie die Fälle zu behandeln sind, in denen es den Eltern an einer Kooperationsfähigkeit oder -bereitschaft fehlt, insbesondere wenn die mangelnde Kooperation wesentlich oder sogar überwiegend auf dem Verhalten des betreuenden Elternteils beruht. Der BGH sieht kein Regel-/Ausnahmeverhältnis zwischen der gemeinsamen und der Alleinsorge,[348] weshalb er auch in den Fällen, in denen der betreuende Elternteil die mangelnde Kooperation zu verantworten hat, eine Übertragung der Alleinsorge auf diesen Elternteil nicht grundsätzlich ausschließt.[349]

 

Rz. 525

Zu beachten ist immer, dass § 1671 Abs. 1 BGB die Möglichkeit eröffnet, die elterliche Sorge nur teilweise auf einen Elternteil allein zu übertragen. Insbesondere wenn die Eltern sich darüber streiten, bei wem das Kind nach der Trennung leben soll, kann hier beispielsweise nur der Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts einem der Elternteile übertragen werden.

 

Rz. 526

Für die Beurteilung dessen, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht, haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Kriterien entwickelt. Hierzu gehören

Förderungsprinzip: Welcher Elternteil wird dem Kind voraussichtlich die besten Entwicklungschancen bieten?
Kontinuitätsprinzip: Welcher Elternteil hat das Kind bisher überwiegend betreut? Welcher Elternteil kann eher gewährleisten, dass die äußeren Rahmenbedingungen (Wohnung, Schule, Vereinsaktivitäten, Freizeitgestaltung, etc.) gleich bleiben?
Bindungen: Zu welchem Elternteil hat das Kind die tieferen Bindungen? Welche Bindungen an die Geschwister sind zu berücksichtigen?
Kindeswille: Welche Regelung würde dem Willen und den Neigungen des Kindes am ehesten entsprechen?
Bindungstoleranz: Welcher Elternteil zeigte die größere Kooperationsbereitschaft im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Kontakte zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil?
 

Rz. 527

Die Gewichtung dieser Kriterien ist immer eine Frage des Einzelfalls. Entgegenzuwirken ist der Tendenz der Gerichte, ganz überwiegend auf die Frage, wer das Kind in der Vergangenheit überwiegend betreut hat, abzustellen. Vielmehr sind alle Kriterien des Kindeswohlbegriffs umfassend in die Entscheidung einzubeziehen.

 

Rz. 528

Bei dem Vortrag in derartigen Verfahren ist darauf zu achten, dass die Entscheidung über die Sorgerechtsregelung eine Prognose für die Zukunft beinhaltet. Für das Gericht sollte die bisherige Entwicklung und das Verhalten der Eltern – auch und gegebenenfalls insbesondere in der Trennungszeit – die Grundlage für die Prognose darstellen, bei welchem Elternteil das Kind infolge der dort gegebenen Lebensverhältnisse, der persönlichen Betreuung, der erzieherischen Fähigkeiten unter Berücksichtigung bestehender Bindungen und unter Wahrung der Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit der Erziehung und Entwicklung am besten gefördert werden kann.[350]

[348] BGH FamRZ 1999, 1646; bestätigend BVerfG FamRZ 2004, 354.
[349] BGH FF 2008, 110 mit weiteren Nachweisen zum Streitstand.
[350] Finke/Ebert/Finke, § 4 Rn 105.

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