Rz. 261

Immer häufiger tritt in der anwaltlichen Praxis der Fall auf, dass in familienrechtlichen Angelegenheit einer der oder beide Beteiligten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In derartigen Fällen sind stets zwei Fragen zu prüfen:

Sind die deutschen Gerichte international zuständig?
Welches materielle Recht ist auf den Fall anzuwenden?
 

Rz. 262

Das seit dem 1.9.2009 geltende FamFG regelt die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in den §§ 97106 FamFG. In der überwiegenden Anzahl der Fälle mit Auslandsberührung wird sich die internationale Zuständigkeit aber gerade nicht aus diesen Paragraphen, sondern aus EU-Verordnungen und anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen ergeben, die die §§ 97106 FamFG verdrängen. Hierauf wollte der Gesetzgeber den Rechtsanwender mit § 97 FamFG, der nach dem Willen des Gesetzgebers eine "Warn- und Hinweisfunktion" erfüllen soll, aufmerksam machen.

a) Ehesachen mit Auslandsbezug

 

Rz. 263

In Ehesachen richtet sich die internationale Zuständigkeit in der Vielzahl der Fälle nach der für alle Verfahren, die ab dem 1.3.2005 eingeleitet wurden, gültigen Verordnung (EG) 2201/2003 vom 27.11.2003 (EuEheVO oder Brüssel IIa-VO), vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a der EuEheVO Diese ist zu beachten, wenn auch nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedsstaat[214] (außer Dänemark) hat oder die gemeinsame Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates gegeben ist.[215] Die in der EuEheVO geregelt Zuständigkeit ist ausschließlich. Es ist weder ein rügeloses Einlassen möglich, noch können Gerichtsstandsvereinbarungen getroffen werden.

 

Rz. 264

Die entsprechenden Zuständigkeitsregelungen finden sich in Art. 3 EuEheVO. Sämtliche dort aufgeführten Alternativen stehen gleichberechtigt nebeneinander, so dass in mehreren EU-Staaten gleichzeitig Zuständigkeiten für das Scheidungsverfahren begründet sein können. Die Ehegatten haben somit ein Wahlrecht.

 

Rz. 265

Gem. Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung sind für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig,

 

Rz. 266

a)

in dessen Hoheitsgebiet

beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder
die Ehegatten zuletzt beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern einer von ihnen dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
im Fall eines gemeinsamen Antrags einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder
der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens einem Jahr unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat, oder
der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er sich dort seit mindestens 6 Monaten unmittelbar vor der Antragstellung aufgehalten hat und entweder Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist oder, im Fall des Vereinigten Königreichs und Irlands, dort sein "domicile" hat;
b) dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten besitzen, oder, im Falle des Vereinigten Königreichs und Irlands, in dem sie ihr gemeinsames "domicile" haben.
 

Rz. 267

Mit dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Daseinsmittelpunkt gemeint, wobei entweder auf die bisherige tatsächliche Aufenthaltsdauer oder auf die Aufenthaltsplanung des Ehegatten abgestellt wird.

 

Rz. 268

Sind in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten Scheidungs-, Eheaufhebungs- oder Ehetrennungsverfahren anhängig, ergibt sich die vorrangige Zuständigkeit aus Art. 19 EuEheVO. Danach ist das zuerst angerufene Gericht zuständig.

 

Rz. 269

 

Hinweis

Maßgeblicher Zeitpunkt ist im Gegensatz zum deutschen Prozessrecht die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht (vergleiche Art. 16 EuEheVO).

 

Rz. 270

Besteht ein Zuständigkeitskonflikt, setzt das später angerufene Gericht sein Verfahren zunächst aus. Erst wenn das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit festgestellt hat, erklärt das danach angerufene Gericht sich für unzuständig.

 

Rz. 271

Hat keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedsstaat (außer Dänemark) und ist auch keine gemeinsame Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates gegeben, richtet sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach § 98 FamFG. Danach sind die deutschen Gerichte international zuständig, wenn ein Ehegatte bei der Eheschließung Deutscher ist oder bei Eheschließung Deutscher war. Ferner begründet sich die internationale Zuständigkeit dann, wenn mindestens einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Dies gilt dann nicht, wenn das Scheidungsurteil des deutschen Gerichts in keinem der Staaten, welchen die Eheleute angehören, anerkannt werden würde (vgl. § 98 Abs. 1 Nr. 4 FamFG).

 

Rz. 272

Besteht für das deutsche Gericht in der Ehesache eine internationale Zuständigkeit, erstreckt sich diese Zuständigkeit gem. § 98 Abs. 2 FamFG auch auf die Folgesachen. Dies gilt unabhängig davon, ob die internationale Zuständigkeit ü...

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