Rz. 27

Einen in den letzten Jahren an Bedeutung zunehmenden Grenzfall in der Begutachtung stellt die Cannabismedikation dar. Hierbei befindet sich der Konsum als Medikament im Spannungsfeld zwischen (ärztlich verordneter und durch Krankheit notwendiger) regelmäßiger Einnahme und Fahreignung. In den Begutachtungsleitlinien[20] steht hierzu:

Zitat

Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nimmt oder von ihnen abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Dies gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Aber gleichzeitig wird festgehalten:

Zitat

Wer regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiert, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden.

 

Rz. 28

Im Falle einer Cannabismedikation liegen also gegenteilige Grundsätze vor, welche in einer Stellungnahme der Bundesanstalt für Straßenwesen vom 15.1.2014 für die Fahrerlaubnisbehörden und Begutachtungsstellen geklärt wurden. In dieser Stellungnahme heißt es dazu, dass die Beurteilung der Fahreignung bei medizinischer Verwendung von cannabinoidhaltigen Medikamenten den gleichen rechtlichen Regelungen unterliegt wie bei anderen Medikamenten. Für den Fall der Dauermedikation gilt gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 der FeV, dass die Fahreignung dann nicht gegeben ist, wenn die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß herabgesetzt ist. Die Überprüfung der Leistungsfähigkeit ist also bei allen Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden, gegebenenfalls im Rahmen einer Einzelfallprüfung durchzuführen. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 der FeV, in welcher die regelmäßige Einnahme von Cannabis die Fahreignung ausschließt, findet insofern keine Anwendung, da sich diese Nummer lediglich auf den missbräuchlichen Rauschkonsum und nicht auf die medizinisch verordnete Einnahme von Cannabis bzw. Cannabinoiden bezieht. Die FeV sieht in § 14 Abs. 1 S. 3 vor, dass im Falle einer missbräuchlichen Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln ein ärztliches Gutachten zur Eignungsüberprüfung beizubringen ist (vgl. § 18 Rdn 8).

 

Rz. 29

 

Praxistipp

Dies bedeutet, dass es sich bei einer ärztlich verordneten Cannabismedikation nicht um einen regelmäßigen Cannabiskonsum im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes und der FeV, Anlage 4, Pkt. 9.2.1 handelt. Eine Überprüfung der Fahreignung eines solchen Klienten ist demnach nur möglich und nötig, wenn weitere Tatsachen Zweifel an seiner Fahreignung begründen. Die bloße medizinische Einnahme von Cannabis oder Cannabinoiden ist nicht ausreichend.

 

Rz. 30

Bei der Cannabismedikation sind jedoch einige Besonderheiten zu beachten. So ist damit nicht die unkontrollierte Selbstmedikation gemeint, sondern es muss eine Verschreibung durch den behandelnden Arzt vorliegen.

 

Rz. 31

Am 19.1.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Zulassung von Cannabis als Medizin beschlossen. Mit Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) wird die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis erweitert, die bisher auf zugelassene Fertigarzneimittelbeschränkt war. Insbesondere wird eine Erstattungsmöglichkeit von Cannabis in Form getrockneter Blüten für schwerkranke Menschen geschaffen. Hierdurch wird es aus verkehrsmedizinischer und -psychologischer Sicht immer bedeutsamer, dass die tatsächlich konsumierte Menge an Cannabis vom therapiebegleitenden Arzt bestimmt und kontrolliert wird.

 

Rz. 32

Problematisch könnte es für einen Klienten mit Cannabismedikation dann werden, wenn durch die Einnahme des Medikaments seine psycho-physische Leistungsfähigkeit beeinträchtig wird. Dies ist, wie bei einigen anderen Medikamenten auch, besonders bei Behandlungsbeginn oder Dosisänderungen der Fall (vgl. § 18 Rdn 23). Im Zweifelsfall hat die Fahrerlaubnisbehörde dann die Überprüfung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit anzuordnen, gegebenenfalls im Rahmen eines ärztlichen Gutachtens mit Drogenfragestellung.

 

Rz. 33

Zusätzlich ist zu beachten, dass in einigen Fällen von Cannabismedikation die Grunderkrankung selbst bereits so ausgeprägt sein könnte, dass diese die Fahreignung infrage stellt. Auch in solchen Fällen wäre eine Überprüfung der Fahreignung durch ein ärztliches Gutachten angezeigt (vgl. § 18 Rdn 18 ff.).

 

Rz. 34

Nach Graw/Mußhoff können Patienten, die Betäubungsmittel als Medikament einnehmen, in drei Gruppen eingeteilt werden:

Krankheit und Medikation sind symptomlos, sodass keine Fahreignungsrelevanz besteht.
Die Krankheitssymptome sind trotz Medikation fahreignungsrelevant.
Die Wirkung der Medikation ist fahreignungsrelevant.

Die Fahreignung der Patienten in den letzten beiden Gruppen ist "wohl grundsätzlich ausgeschlossen. Bei Zweifeln muss eine Prüfung des konkreten Einzelfalles erfolgen"[21].

 

Rz. 35

 

Praxistipp

Anders verhält es sich bei Kli...

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