A. Einleitung

 

Rz. 1

Kein Rechtsanwalt ist davor gefeit, dass er eine Frist versäumt. Auch die beste Organisation wird dies nicht verhindern, weil Fehler menschlich sind. Wenn ein solches Fehlverhalten zu einem Schaden des Mandanten führt, kann auch die leichteste Fahrlässigkeit schnell teuer werden. Auch wenn in den meisten Fällen die Haftpflichtversicherung eintrittspflichtig sein wird, bleibt jeder Haftungsfall für die Prämienhöhe und eine mögliche Selbstbeteiligung relevant. Helfen kann in Fällen nicht vorwerfbaren Verhaltens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 233 ff. ZPO. Nachfolgend wird erläutert, bei welchen Fristen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt und welche Tendenzen aus der aktuellen Rechtsprechung abzulesen sind.

 

Rz. 2

Dagegen möchte die Partei, die von der versäumten Frist und nicht nachzuholenden Frist profitiert hat, diesen Zustand erhalten. Im Rahmen der Anhörung zum Wiedereinsetzungsgesuch in den vorigen Stand des Gegners wird ihr Vertreter deshalb ebenso wie das Gericht die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung zu prüfen und ggf. darzulegen haben, warum die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorliegen. Dabei kommt es weniger darauf an, das objektive Fehlverhalten darzulegen, sondern das Verschulden für das Fehlverhalten.

B. Rechtliche Grundlagen

I. Folgen einer Fristversäumung

 

Rz. 3

Nach § 230 ZPO hat die Versäumung einer Prozesshandlung die allgemeine Folge, dass die Partei mit der vorzunehmenden Prozesshandlung ausgeschlossen ist, d.h. der Prozess kann trotz des begründeten materiellen Anspruchs verloren werden. § 230 ZPO findet auf gesetzliche wie richterliche Fristen Anwendung.[1] Sie gilt allerdings aufgrund der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens dort nicht uneingeschränkt.[2]

 

Rz. 4

Dabei kommt es vom Grundsatz her zunächst auf kein Verschulden an. Auch bedarf es nach § 231 ZPO keiner Androhung der gesetzlichen Folgen der Fristversäumung, soweit dies nicht ausdrücklich im Gesetz abweichend geregelt ist.

 

Rz. 5

Eine anderweitige Anordnung, d.h. eine Belehrung über die Fristversäumung ist in folgenden Fällen vorgesehen:

§ 276 Abs. 2 ZPO: Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens,
§ 277 Abs. 2 ZPO: Klageerwiderungsfrist,
§ 335 Abs. 1 Nr. 4 ZPO: Versäumnisurteil,
§ 340 Abs. 3 S. 4 ZPO: Versäumnisurteil,
§ 504 ZPO: Belehrung über die Folgen der rügelosen Einlassung,
§ 510 ZPO: Erklärungsfrist über Urkunden,
§ 692 Abs. 1 Nr. 4 ZPO: Mahnbescheidsverfahren,
§ 890 Abs. 2 ZPO: Zwangsvollstreckung bei Duldung und Unterlassung,
§ 445 FamFG: Aufgebotsverfahren zum Ausschluss des Grundstückseigentümers,
§ 446, i.V.m. § 445 FamFG: Aufgebotsverfahren zum Ausschluss des Schiffseigentümers,
§§ 452 (i.V.m. 451 Abs. 2) FamFG: Aufgebotsverfahren zum Ausschluss des Grundpfandrechtsgläubigers, entsprechend des Schiffspfandrechtsgläubigers, bzgl. Binnenschifffahrt: § 465 Abs. 6 FamFG
§§ 453 i.V.m. 451 Abs. 2 FamFG: Aufgebotsverfahren zum Ausschluss des Vormerkungs-, Reallast- oder Vorkaufsberechtigten an Grundstücken oder Schiffen,
§§ 458 Abs. 1 1. Hs. 460 Abs. 1 S. 2 FamFG: Aufgebotsverfahren Nachlassgläubiger,
§§ 464 i.V.m. 458 Abs. 1 1. Hs. FamFG: Ausschluss der Gesamtgutsgläubiger,
§ 469 S. 2 FamFG: Aufgebotsverfahren Urkunden.
 

Rz. 6

 

Hinweis

Fehlt es an der Belehrung über die Folge der Fristversäumung, so kann diese Folge nicht eintreten. Bevor sich der Rechtsanwalt mit der Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand befasst, muss er in den vorbezeichneten Fällen also zunächst prüfen, ob eine Fristversäumung wegen fehlender Belehrung über die Folgen der Säumnis schon vom Grundsatz her ausscheidet.[3]

 

Rz. 7

In verschiedenen Fällen tritt die Fristversäumung aber nicht kraft Gesetzes unmittelbar ein, sondern es bedarf eines gesonderten Antrags des Gegners, um die Folgen der Säumnis, d.h. die Präklusion mit der Prozesshandlung eintreten zu lassen.

 

Rz. 8

Ein solches Antragserfordernis ergibt sich aus:

§ 109 Abs. 2 ZPO: Rückgabe der prozessualen Sicherheit,
§ 113 ZPO: Leistung der Ausländersicherheit,
§ 158 ZPO: Entfernung aus der Verhandlung,
§ 239 Abs. 4 ZPO: Unterbrechung des Verfahrens,
§ 246 ZPO: Aussetzung des Verfahrens,
§ 331 ZPO: Versäumnisurteil,
§ 699 Abs. 1 S. 1 ZPO: Vollstreckungsbescheid,
§ 890 Abs. 1 ZPO: Erzwingung von Duldung und Unterlassung,
§§ 926, 936 ZPO: Nachträgliche Klageerhebung,[4]
§ 942 Abs. 1, 3 ZPO: Antrag auf mündliche Verhandlung bei einstweiliger Verfügung,
§ 952 ZPO: Ausschlussurteil.
 

Rz. 9

 

Hinweis

In diesen Fällen erlaubt § 231 Abs. 2 ZPO, dass die versäumte Prozesshandlung noch nachgeholt werden kann, solange der Antrag noch nicht gestellt ist und die mündliche Verhandlung über ihn geschlossen werden kann oder der Antrag gestellt ist und es einer mündlichen Verhandlung über den Antrag nicht bedarf.[5] Auch hier hat der Rechtsanwalt nach der Feststellung der Säumnis also zunächst zu prüfen, ob der die Rechtsfolge voraussetzende Antrag gestellt ist.

 

Rz. 10

Beachtet werden muss, dass eine Säumnis nicht nur dann vorliegt, wenn d...

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