Rz. 55

Obwohl eheliche und nichteheliche Kinder mit dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz erbrechtlich grundsätzlich gleich behandelt werden, galt bisher für die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder, dass sie weiterhin nach Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG kein gesetzliches Erbrecht an ihrem Vater und umgekehrt haben. Diese Regelung wurde ausdrücklich beibehalten.[43] Damit sollte vermieden werden, dass Väter nach über 40 Jahren mit Pflichtteilsansprüchen konfrontiert werden, die sie bei ihren vermögens- und erbrechtlichen Dispositionen bisher nicht berücksichtigen mussten. Heiraten die Eltern allerdings später, steht das nichteheliche Kind dem ehelichen Kind gleich.[44]

Mit Urt. v. 28.5.2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass die Regelung für nichteheliche Kinder, die vor dem 1.7.1949 geboren wurden, gegen Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK (Diskriminierungsverbot und Schutz der Familie) verstößt.[45]

Der Gesetzgeber reagierte hierauf mit dem zweiten Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder vom 12.4.2011.

Dem nichtehelichen Kind, das vor dem 1.7.1949 geboren wurde, steht demnach auch ein Erbrecht und somit auch ein Pflichtteilsrecht nach seinem Vater bzw. dessen Verwandten zu, wenn der Erblasser nach dem 28.5.2009 (Entscheidung des EGMR) verstorben ist. Unerheblich ist, ob der Vater des nichtehelichen Kindes oder das nichteheliche Kind bereits vor dem 29.5.2009 verstorben ist. Eine Gleichstellung der nichtehelichen Kinder für Erbfälle ab dem 29.5.2009 ist nunmehr gegeben.[46]

Für Erbfälle bis zum 28.5.2009 bleibt es bei der bisherigen Regelung. Als Argument wird hier der Vertrauensschutz herangezogen. Die Regelung ist auch nicht verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht durch Entscheidung vom 18.3.2013[47] klargestellt. Eine Ausnahme besteht für das Erbrecht von Bund und Ländern nach § 1936 BGB. In diesem Falle erhält das nichteheliche Kind einen Wertersatzanspruch in Höhe des entgangenen Erbteils, § 10 Abs. 2 NEhelG. Erbscheine, die zwischen dem 28.5.2009 und dem rückwirkenden Inkrafttreten des Änderungsgesetzes erteilt wurden, werden nach Inkrafttreten der Änderung unrichtig. Auf Antrag sind sie einzuziehen und neu zu erteilen, § 24 NEhelG. Gerichtskosten hierfür fallen nach § 24 NEhelG nicht an.

[43] Vgl. Rauscher, ZEV 1998, 44; BT-Drucks 13/4183 S. 12, 15.
[44] BVerfG ZErb 2009, 492.
[45] FamRZ 2009, 1293.
[46] Palandt/Weidlich, EG 227 Rn 5.
[47] NJW 2013, 2103.

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