Rz. 313

Besteht zwischen verletztem Kind und der seine Pflichten verletzenden Person im Unfallzeitpunkt eine zuvor begründete rechtliche, vor allem vertragliche, Sonderrechtsbeziehung, kommt es zu einer Anrechnung des Mitverschuldens nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB.[257]

 

Rz. 314

Eine – zur Anspruchskürzung beim Kind führende – Sonderbeziehung ist anzunehmen bei einem mit dem Schädiger zuvor abgeschlossenen Vertrag mit dem oder für das Kind, aber auch bei einem Vertrag (z.B. der Eltern) zugunsten oder mit Schutzwirkung für Dritte.[258] Ausreichend ist, wenn das Kind in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen ist.[259]

 

Rz. 315

Hätte das Kind, welches in die Schutzwirkung eines Vertrages einbezogen ist,[260]

einerseits wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten einen Schadenersatzanspruch gegen den Schadenstifter,[261]
so besteht andererseits zugleich ein dergestaltes Sonderrechtsverhältnis (Schuldverhältnis), bei dessen Anbahnung (culpa in contrahendo [cic], §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) bzw. Abwicklung (positive Vertragsverletzung [pVV], §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) sich ein Verschulden (§ 276 BGB) des gesetzlichen Vertreters (§ 254 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 278 BGB) unmittelbar anspruchskürzend beim verletzten Kind auswirkt.
 

Rz. 316

Vorstehendes gilt auch für Verträge, die das Kind selbst (Taschengeldparagraph, § 110 BGB) oder mit Zustimmung der Eltern (§ 107 BGB) geschlossen hat.

 

Rz. 317

Nicht nur der privaten, sondern auch der kassenärztlichen Behandlung liegt ein (auch Dritte schützendes) Vertragsverhältnis zugrunde (siehe §§ 630a ff. BGB, ferner §§ 27 I, 72, 95 SGB V).[262]

Diesem Aspekt kommt auch Bedeutung zu bei Fehlern des die Unfallverletzung behandelnden Arztes.

 

Rz. 318

Verletzt ein Handwerker anlässlich eines Reparaturauftrages seinen Vertragspartner oder eine Person, der Ansprüche über die Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte[263] zustehen (u.a. Kinder des Auftragsgebers), hat sich eine nicht-deliktsfähige verletzte Person das etwaig gegebene Mitverschulden ihres gesetzlichen Vertreters zurechnen zu lassen.[264]

 

Rz. 319

Vertragsbeziehungen prägen nicht zuletzt den Freizeitbereich, z.B. anlässlich einer Reise,[265] bei Besuch von Schwimmbad,[266] Sportveranstaltung, Kino, Restaurant, Ferien-/Freizeitparadies, Vergnügungs-/Abenteuerpark.[267] Ein Mitverschulden der Eltern (nicht zuletzt Auswahlverschulden) ist überall dort, wo Eintritt oder kontrollierter Zutritt gewährt wird, in Betracht zu ziehen. Es ist nicht erforderlich, dass für das Kind ebenfalls der Zu-/Eintritt bezahlt wird (z.B. "Kinder bis 8. Lebensjahr frei", "Kinder unter 110 cm kostenloser Zutritt").[268]

 

Rz. 320

Auch die Mitgliedschaft in demjenigen Verein,[269] welcher den Schaden verantwortlich verursachte, kann ein Sonderrechtsverhältnis begründen. Gleiches gilt für Jugendgruppen (z.B. Pfadfinder; kirchliche ­Institution).[270] Zu prüfen ist u.a. auch ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Institutionen.

 

Rz. 321

Bejaht man Ansprüche eines Kunden bei Betreten eines Einkaufscenters aus cic/pVV, kann dieses auch für begleitende Kinder gelten (cic/pVV eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte).[271]

 

Rz. 322

Eine vor dem Unfall begründete vertragliche Beziehung kann bei Abschluss eines Beförderungsvertrages (§ 328 BGB) vor allem im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) (z.B. Taxi,[272] Bus,[273] Bahn[274]) in Betracht kommen. Bei Unfällen beim Transport von Kindern kürzt dann ein vorwerfbares Fehlverhalten des gesetzlichen Vertreters den kindlichen Ersatzanspruch unmittelbar.[275]

 

Rz. 323

Der (häufig nur zeitweiligen) Unterbringung bei Dritten (wie Kindergarten, Verein, Jugendgruppe, Kinderfrau) liegen nicht selten vertragliche Beziehungen zugrunde, die § 254 Abs. 2 S. 2 BGB grundsätzlich anwendbar werden lassen. Parallel stellt sich die Frage nach einem Haftungsverzicht.

[257] BGH v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87 – BGHZ 103, 338 = DAR 1988, 306 = DVBl 1988, 788 = FamRZ 1988, 810 = JuS 1989, 405 (Anm. Emmerich) = JZ 1989, 45 (Anm. Lange) = JR 1989, 60 (Anm. Dunz) = MDR 1988, 766 = NJW 1988, 2667 = NJW-RR 1988, 1300 (nur Ls.) = VersR 1988, 632 = zfs 1988, 238 (nur Ls.); BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 59/80 – MDR 1982, 569 = NJW 1982, 1149 = VersR 1982, 441; BGH v. 20.5.1980 – VI ZR 185/78 – NJW 1980, 2090 = VersR 1980, 938; OLG Stuttgart v. 4.10.2010 – 5 U 60/10 – FamRZ 2011, 411 (nur Ls.) = NJW-RR 2011, 239 = NZV 2011, 396 = openJur 2012, 63439 (Die Aufsicht über fremde Kinder ohne Entgelt stellt i.d.R. eine Gefälligkeit dar ohne vertragsrechtliche Bindung [BGH NJW 1968, 1874: Besuche von 4- und 6-jährigen Kindern beim jeweils anderen Ehepaar zum Spielen und zur Beaufsichtigung).
[258] AG Nordhorn v. 19.10.2000 – 3 C 1053/00 – NJW-RR 2001, 1171.
[259] Zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte siehe Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 16 StVG Rn 62 ff.; Palandt-Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 328 BGB Rn 13 ff.
[260] Zu den Voraussetzungen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte...

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