aa) Einleitung

 

Rz. 287

Verfolgt ein Kind wegen seiner Verletzung Ersatzansprüche, kann vorwerfbares Fehlverhalten seiner Eltern anspruchsmindernd oder sogar anspruchsausschließend wirken. Die Frage, ob Fehlverhalten seiner Eltern die Ansprüche eines Kindes oder Jugendlichen unmittelbar kürzt, oder das Fehlverhalten im Rahmen eines Gesamtschuldnerausgleiches zu lösen ist, kann nicht einheitlich beantwortet werden.

 

Rz. 288

Geboten ist eine differenzierte Betrachtung vor allem zu Haftungsgrund und Anspruchsabwicklung:[224]

Mitverantwortung zum Anspruchsgrund trifft dabei das komplette Anspruchsspektrum,
Mitverantwortung zur Höhe kann (muss aber nicht) sich nur auf Teilaspekte (z.B. Verdienstausfall oder Heilbehandlung) beschränken.
[224] Jahnke/Burmann-Müller, Handbuch des Personenschadensrechts, 1. Aufl. 2016, Kap. 1 Rn 794 ff.

bb) Verhalten/Umstand vor dem Haftpflichtgeschehen

 

Rz. 289

 

§ 278 BGB – Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte

1Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden.

2Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.

 

§ 254 BGB – Mitverschulden

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
(2)

1Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.

2Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.

(1) Familiäre Aspekte

(a) Mitverantwortung der Eltern

 

Rz. 290

Mitverantwortung der Eltern im Vorfeld bzw. bei der Schadenentstehung ist nur ausnahmsweise von ­Belang.[225]

[225] Siehe auch Jahnke/Thinesse-Wiehofsky, Unfälle mit Kindern und Arzthaftung bei Geburtsschäden, 1. Aufl. 2013, § 2 Rn 517 ff.; Pauge, Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern, zfs 2015, 665.

(aa) Grundsatz

 

Rz. 291

Die Mitverschuldenszurechnung (§§ 254 Abs. 2 S. 2, 278[226] BGB) setzt für Anspruchskürzung ein vor dem Haftpflichtgeschehen bereits bestehendes Sonderrechtsverhältnis zwischen Kind und Schädiger voraus (dazu Rdn 302 ff.). Bei einem Haftpflichtgeschehen entsteht ein Sonderrechtsverhältnis häufig erst mit dem Unfall. Der Mithaftungseinwand ist nicht auf vertragliche Ansprüche beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf konkurrierende Anspruchsnormen (z.B. § 823 BGB).[227]

 

Rz. 292

Ein Mitverschulden des gesetzlichen Vertreters schon bei der Schadenentstehung (§ 254 Abs. 1 BGB) hat sich das Kind auf seine Schadensersatzansprüche nicht unmittelbar anrechnen zu lassen. Ein Aufsichtspflichtversagen seiner Eltern[228] ist dem deliktsunfähigen Kind nicht anspruchsmindernd gegenzurechnen.[229] Es besteht dann vielmehr gesamtschuldnerische Haftung von gesetzlichem Vertreter (z.B. Vater) und weiterem Schädiger (z.B. Autofahrer).

[226] § 278 BGB gilt auch im Rahmen eines deliktisch begründenden Rechtsverhältnisses (Schadenersatzbeziehung) (Palandt-Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 278 BGB Rn 2, 18).
[227] BGH v. 29.4.1953 – VI ZR 63/52 – BGHZ 9, 316 = NJW 1953, 977.
[228] Bernau, Die Aufsichtshaftung über Minderjährige im Straßenverkehr – Eine Übersicht der seit 2012 veröffentlichten Rechtsprechung, DAR 2015, 192.
[229] BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 59/80 – MDR 1982, 569 = NJW 1982, 1149 = VersR 1982, 441; BGH v. 20.5.1980 – VI ZR 185/78 – NJW 1980, 2090 = VersR 1980, 938; OLG Hamm v. 23.5.1995 – 27 U 30/93 – r+s 1995, 455; OLG Köln v. 2.6.1993 – 13 U 18/93 – VersR 1994, 1082.

(bb) (Unterlassene) Vorsorgemaßnahmen

 

Rz. 293

Die elterliche Personensorge umfasst auch die Aufgabe, das Kind an die Gefahren des Alltags Stück für Stück heranzuführen (vgl. § 1631 Abs. 1, 1626 Abs. 2 BGB). Aus unsorgfältigem Gefahrenunterricht (z.B. Verkehrsunterricht) lässt sich in der Praxis aber ein haftungsrechtlich relevanter Vorwurf nur selten herauskristallisieren.

 

Rz. 294

Die anzulegenden Maßstäbe sind einem Wandel unterworfen: Das was gestern nicht gefordert werden konnte ist heute selbstverständlich. Wie beim Mitverschulden gilt, dass nicht entscheidend gesetzliche Vorgaben sind, sondern das Sich-Herausbilden der Einsicht, dass bestimmtes Verhalten zur Gefahrenabwehr oder -minimierung doch Sinn macht.[230] Zur Verdeutlichung: Wenn Eltern das Nutzen von Schutzmechanismen (wie Fahrradhelm,[231] Reithelm, Skihelm; Gelenk-/Wirbelschutz beim Skaten oder Wintersport; Schienbeinschoner beim Ballsport) zugunsten von Kindern nicht nachhaltig anmahnen, kann dieses die bei einem anschließenden Schadenfall eintretenden Verletzungen vergrößern.

 

Rz. 295

Gleichwohl bleiben einem schuldunfähigen Kind (je nachdem, ob der Täter mit einem Kfz oder unmotorisiert handelte, ab dem 7. oder dem 10. Lebensjahr) seine Ersatzansprüche ungekürzt erhalten;[232] Eltern handeln i.d.R. nicht im Rahme...

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