Rz. 782

Nimmt ein Anspruchsteller oder Anspruchsgegner mit der anderen Partei unmittelbar Kontakt auf, obwohl sich für diese ein Anwalt bestellt hat, der namens seiner Partei um ausschließliche Korrespondenz mit ihm bittet, ist diese unmittelbare Kontaktaufnahme "von Partei zu Partei" in aller Regel rechtmäßig. Die anwaltlich vertretene Partei ist durch den Empfang der außergerichtlichen Korrespondenz vergleichsweise geringfügig beeinträchtigt; es ist ihr zumutbar, nicht gewünschte Schreiben an ihren Rechtsanwalt weiterzuleiten.

 

Rz. 783

Weder aus § 172 ZPO noch aus § 12 BORA lässt sich eine Verpflichtung des in Anspruch genommenen Ersatzpflichtigen herleiten, eine unmittelbare Kontaktaufnahme zum anwaltlich vertretenen Anspruchsteller zu unterlassen.[685] Nach ihrem eindeutigen Wortlaut und Sinn ist § 172 Abs. 1 ZPO nur auf ein bereits anhängiges gerichtliches Verfahren bezogen und sagt nichts über die Frage des richtigen Zustellungsadressaten bei außergerichtlichen Streitigkeiten aus.[686] § 12 BORA verbietet es zwar einem Rechtsanwalt grundsätzlich, ohne Einwilligung des gegnerischen Rechtsanwalts mit dessen Mandanten unmittelbar Verbindung aufzunehmen oder zu verhandeln. Diese berufsrechtliche Vorschrift verpflichtet nur die beteiligten Rechtsanwälte, nicht jedoch die von ihnen vertretenen Mandanten.[687] Auch §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geben dem Anwalt unter dem Aspekt des Persönlichkeitsschutzes keinen Anspruch auf Unterlassen der unmittelbaren Kontaktaufnahme.[688]

[685] BGH v. 8.2.2011 – VI ZR 311/09 – NJ 2011, 257 = NJW 2011, 1005 = NJW-Spezial 2011, 222 = VersR 2011, 544 = WM 2011, 1194.
[686] BGH v. 8.2.2011 – VI ZR 311/09 – NJ 2011, 257 = NJW 2011, 1005 = NJW-Spezial 2011, 222 = VersR 2011, 544 = WM 2011, 1194.
[687] BGH v. 17.10.2003 – V ZR 429/02 – MDR 2004, 117 = NJW 2003, 3692 = VersR 2004, 402 m.w.N. (Ein Verstoß gegen das in § 12 I BORA bestimmte Verbot führt weder zur Nichtigkeit eines verbotswidrig zustande gekommenen Vertrages nach § 134 BGB noch ohne weitere Umstände zu seiner Nichtigkeit nach § 138 I BGB. § 12 I BORA wendet sich nicht gegen den Inhalt des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, sondern gegen die Umstände seines Abschlusses. Zweck des Verbots sind der Schutz des gegnerischen Rechtsanwalts vor Eingriffen in dessen Mandatsverhältnis, der Schutz des gegnerischen Mandanten und der Schutz der Rechtsprechung vor der Belastung mit Auseinandersetzungen, die ihren Grund in Einlassungen der von ihrem Rechtsanwalt nicht beratenen Partei finden. Diese Zwecke gebieten es nicht, ein unter Verstoß gegen das in § 12 I BORA bestimmte Verbot zustande gekommenes Rechtsgeschäft als nichtig zu werten. Die Achtung von § 12 I BORA ist durch die standesrechtlichen Befugnisse der Rechtsanwaltskammern hinreichend gewährleistet.).
[688] BGH v. 8.2.2011 – VI ZR 311/09 – NJ 2011, 257 = NJW 2011, 1005 = NJW-Spezial 2011, 222 = VersR 2011, 544 = WM 2011, 1194.

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