Rz. 174

Verletzte haben nicht nur Ansprüche gegenüber dem Unfallverursacher (Schadenersatzpflichtiger), sondern auch gegenüber Drittleistungsträgern (wie SVT, Arbeitgeber, Privatversicherung).[102]

[102] Dazu Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch des Personenschadensrechts, 1. Aufl. 2016, Kap. 5 Rn 6 ff.

aa) Sozialversicherungsträger – Sozialhilfeträger

 

Rz. 175

Bei der Schadenabwicklung ist zwingend und strikt auseinander zu halten, ob es sich um Leistungen der Sozialversicherung (SVT) oder solche der Sozialhilfe (SHT) handelt.

 

Rz. 176

Rechtsgrundsätze, die für die Sozialversicherung entwickelt wurden, gelten definitiv nicht automatisch auch für die Sozialhilfe.[103]

[103] BGH v. 24.4.2012 – VI ZR 329/10 – GesR 2012, 475 = jurisPR-SozR 13/2012 Anm. 6 (Anm. Dahm) = jurisPR-VerkR 14/2012, Anm. 2 (Anm. Jahnke) = MDR 2012, 840 = NJW 2012, 3639 (Anm. Giesen NJW 2012, 3609) = NJW-Spezial 2012, 394 = NZS 2012, 752 (nur Ls.) = NZV 2012, 577 (Anm. Dahm NZV 2012, 575) = r+s 2012, 414 = SP 2012, 284 = VersR 2012, 924 = VRS 123, 167 (Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind nicht auf Sozialleistungen eines SHT zu übertragen).

(1) Sozialversicherung (SVT)

 

Rz. 177

Die deutsche Sozialversicherung (§ 4 SGB I) ist ein gesetzliches als Solidargemeinschaft ausgeprägtes Versicherungssystem. Es bietet als Teil der sozialen Sicherung finanziellen Schutz vor Lebensrisiken und deren Folgen (wie Alter, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Invalidität, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall). Die zu versichernden Risiken (Sozialversicherungszweige) werden weitgehend aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert, teilweise auch aus Steuermitteln, und stehen – mit Ausnahme der Krankenversicherung – in keinem Wettbewerbsverhältnis zueinander.

 

Rz. 178

SVT sind diejenigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die – außerhalb der Krankenversicherung – aufgrund von Zuweisungen für den jeweiligen Versicherten zuständig sind.

(2) Arbeitsagentur

 

Rz. 179

Die Arbeitsagentur ist kein SVT,[104] aber als Sozialleistungsträger ihm vielfach angenähert (vgl. § 116 Abs. 10 SGB X), auch wenn einige Leistungsbereiche eher der Sozialhilfe nahestehen (z.B. ALG II).

[104] Dazu ausführlich Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadenersatzrecht, 4. Aufl. 2015, § 2 Rn 603 ff., § 4 Rn 527 ff. 608.

(3) Sozialhilfe (SHT)

 

Rz. 180

Die Sozialhilfe (§§ 9, 28 SGB I, SGB XII) hat als öffentlich-rechtliche Sozialleistung im System der sozialen Sicherheit die Funktion einer Grundsicherung und setzt die staatliche Verpflichtung (Art 20 Abs. 1 GG) um, einen Mindeststandard des menschenwürdigen Daseins sicherzustellen. Sozialhilfe (mit Ausnahme der Grundsicherung) setzt ein, sobald dem SHT bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (§ 18 SGB XII); und zwar ohne dass es eines Antrages bedarf.

 

Rz. 181

SHT ist diejenige Institution, die für die Ausführung der Sozialhilfe zuständig ist und die in ihrem Zuständigkeitsbereich die Kosten der Sozialhilfe zu tragen hat (§ 28 Abs. 2 SGB I, § 3 SGB XII).

bb) Künftige Ansprüche

 

Rz. 182

Drittleistungsansprüche, die auch erst künftig entstehen können, sind abzuschätzen und in die Abrechnung einzubeziehen.

 

Rz. 183

Häufig – aber nicht immer (siehe § 2 Rdn 72 ff., 1039 ff.) – hat bereits vor der Abfindung aufgrund Forderungswechsels (Cessio legis, privatrechtliche Forderungsübertragung) der unmittelbar Verletzte seine Rechte ganz oder teilweise an einen Drittleistungsträger abgegeben. Der Verletzte kann über diese übergangenen Forderungen dann nicht mehr befinden, d.h. diese weder prozessual geltend machen noch sie mit Wirkungen gegenüber den Drittleistungsträgern durch Abfindung erledigen.

cc) System

 

Rz. 184

Übersicht 2.10: Systemdarstellung[105]

 

Rz. 185

Differenziert werden muss

zwischen der vom Schaden unabhängig zu betrachtenden Leistungsverpflichtung der Drittleistungsträger aufgrund ihrer Drittleistungsbeziehung einerseits und
dem Regressanspruch des Drittleistenden, der ausschließlich der schadenersatzrechtlichen Betrachtung unterliegt, andererseits.
[105] Jahnke/Burmann-Jahnke, Handbuch des Personenschadensrechts, 1. Aufl. 2016, Kap. 5 Rn 3741a.

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