Rz. 1146

Ist die Möglichkeit von Spätschäden schon bei Vergleichsabschluss bedacht worden, entfällt bereits von daher eine Nachbesserung;[1034] es realisiert sich schlicht das Risiko. Ist der Vergleich gerade auf der Grundlage einer nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung geschlossen worden, fällt es klar in den Risikobereich des Verletzten, wenn eine neurologische Nachbegutachtung, auf die er mit Annahme der Zahlung verzichtet hat, später gravierendere Schäden ergeben haben sollte, als bei Vergleichsschluss angenommen worden waren.[1035]

 

Rz. 1147

Haben Geschädigter und Schädiger in einem Vergleich vereinbart, dass durch den Vergleich "alle Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis/Schadenereignis, unabhängig davon, ob diese bekannt oder unbekannt, voraussehbar oder nicht voraussehbar sind, endgültig und vollständig abgefunden sind", und haben sie damit nach dem Wortlaut und Sinn des Vergleiches die Schadensersatzansprüche des Geschädigten aus dem Unfallereignis endgültig erledigen und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigen wollen, muss der Geschädigte, wenn er dennoch von diesem Abfindungsvergleich abweichen und Nachforderungen stellen möchte, dartun, dass ihm ein Festhalten am Vergleich nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, weil entweder die Geschäftsgrundlage für den Vergleich weggefallen ist bzw. sich geändert hat, so dass eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheint, oder weil nachträglich erhebliche Äquivalenzstörungen in den Leistungen der Parteien eingetreten sind, die für den Kläger nach den gesamten Umständen des Falles eine ungewöhnliche Härte bedeuten.[1036]

 

Rz. 1148

Abweichend vom Grundsatz, dass ein Vergleich auch dann Bestand hat, wenn sich der Gesundheitszustand des Verletzten bessert oder verschlechtert, kann der Verletzte dann Aufhebung des Vergleiches verlangen, wenn nach Abschluss des Vergleiches Umstände auftreten, die außerhalb menschlicher Erkenntnis und Voraussicht liegen.[1037]

 

Rz. 1149

Nur für Spätfolgen, die nicht voraussehbar waren, weil sie nach anscheinend leichten Verletzungen später unerwartet auftreten, kann überhaupt eine Nachbesserung in Betracht kommen. Ein Blick in die vor dem Vergleichsabschluss eingeholten Arztberichte und Gutachten zeigt dabei häufig, dass ärztlicherseits auf entsprechende später mögliche Folgen schon hingewiesen wurde.

[1034] BGH v. 11.7.1967 – VI ZR 115/66 – VersR 1967, 1092; OLG Düsseldorf v. 19.9.1994 – 1 U 93/93 – NZV 1995, 482 = r+s 1995, 460 = VersR 1996, 642 (BGH hat Revision nicht angenommen, Beschl. v. 2.5.1995 – VI ZR 339/94); OLG Düsseldorf v. 22.4.1985 – 1 U 75/84 – zfs 1986, 69; OLG Hamm v. 5.8.1999 – 23 U 16/99 – NZV 2000, 127 (Auftreten einer schizoaffektiven Psychose); OLG Hamm v. 20.2.1997 – 27 U 216/96 – NZV 1997, 440 = VersR 1998, 631 (Knieinstabilität); OLG Nürnberg v. 1.7.1999 – 2 U 531/99 – NZV 2000, 507 = r+s 2000, 459 = VersR 2001, 982 (BGH hat Revision nicht angenommen, Beschl. v. 11.4.2000 – VI ZR 427/99); OLG Nürnberg v. 17.1.1985 – 5 U 3680/84 – zfs 1985, 65 m.w.N.; OLG Saarbrücken v. 21.3.2006 – 4 U 24/05 – SP 2006, 233; OLG Schleswig v. 30.8.2000 – 4 U 158/98 – VersR 2001, 983.
[1035] LG Stendal v. 3.12.2007 – 23 O 285/07 – SP 2008, 290.
[1036] KG v. 10.11.2014 – 22 U 72/14 – NZV 2016, 189 = zfs 2015, 318 (Berufung wurde nach dem Hinweisbeschluss des KG zurückgenommen) (Vorinstanz LG Berlin v. 27.2.2014 – 41 O 149/13 – zfs 2015, 318 [Anm. Diehl]).
[1037] BGH v. 19.6.1990 – VI ZR 255/89 – DAR 1990, 336 = MDR 1990, 995 = NJW 1991, 1535 = r+s 1990, 338 (nur Ls.) = VersR 1990, 984 = zfs 1990, 369; BGH v. 21.12.1965 – VI ZR 168/64 – BB 1966, 140 = DAR 1966, 130 = DB 1966, 338 = MDR 1966, 310 = VersR 1966, 243 = VRS 30, 247; OLG Hamm v. 26.6.1985 – 13 U 27/84 – r+s 1987, 30 = VersR 1987, 509 = VRS 72, 2 = zfs 1987, 103; LG Siegen v. 28.8.2015 – 5 O 311/11 – jurisPR-VerkR 2/2016 Anm. 6 (Anm. Wenker) (Die Folgen sind dann nicht vorhersehbar, wenn es sich um Verletzungsfolgen handelt, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind. Soweit ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung des Schadens beauftragter Sachverständiger mit einer fortschreitenden Arthrose und der späteren Notwendigkeit der künstlichen Versteifung des Handgelenks gerechnet hätte, sind die Unfallfolgen vorhersehbar gewesen.).

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