Rz. 290

Mitverantwortung der Eltern im Vorfeld bzw. bei der Schadenentstehung ist nur ausnahmsweise von ­Belang.[225]

[225] Siehe auch Jahnke/Thinesse-Wiehofsky, Unfälle mit Kindern und Arzthaftung bei Geburtsschäden, 1. Aufl. 2013, § 2 Rn 517 ff.; Pauge, Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern, zfs 2015, 665.

(aa) Grundsatz

 

Rz. 291

Die Mitverschuldenszurechnung (§§ 254 Abs. 2 S. 2, 278[226] BGB) setzt für Anspruchskürzung ein vor dem Haftpflichtgeschehen bereits bestehendes Sonderrechtsverhältnis zwischen Kind und Schädiger voraus (dazu Rdn 302 ff.). Bei einem Haftpflichtgeschehen entsteht ein Sonderrechtsverhältnis häufig erst mit dem Unfall. Der Mithaftungseinwand ist nicht auf vertragliche Ansprüche beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf konkurrierende Anspruchsnormen (z.B. § 823 BGB).[227]

 

Rz. 292

Ein Mitverschulden des gesetzlichen Vertreters schon bei der Schadenentstehung (§ 254 Abs. 1 BGB) hat sich das Kind auf seine Schadensersatzansprüche nicht unmittelbar anrechnen zu lassen. Ein Aufsichtspflichtversagen seiner Eltern[228] ist dem deliktsunfähigen Kind nicht anspruchsmindernd gegenzurechnen.[229] Es besteht dann vielmehr gesamtschuldnerische Haftung von gesetzlichem Vertreter (z.B. Vater) und weiterem Schädiger (z.B. Autofahrer).

[226] § 278 BGB gilt auch im Rahmen eines deliktisch begründenden Rechtsverhältnisses (Schadenersatzbeziehung) (Palandt-Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 278 BGB Rn 2, 18).
[227] BGH v. 29.4.1953 – VI ZR 63/52 – BGHZ 9, 316 = NJW 1953, 977.
[228] Bernau, Die Aufsichtshaftung über Minderjährige im Straßenverkehr – Eine Übersicht der seit 2012 veröffentlichten Rechtsprechung, DAR 2015, 192.
[229] BGH v. 9.2.1982 – VI ZR 59/80 – MDR 1982, 569 = NJW 1982, 1149 = VersR 1982, 441; BGH v. 20.5.1980 – VI ZR 185/78 – NJW 1980, 2090 = VersR 1980, 938; OLG Hamm v. 23.5.1995 – 27 U 30/93 – r+s 1995, 455; OLG Köln v. 2.6.1993 – 13 U 18/93 – VersR 1994, 1082.

(bb) (Unterlassene) Vorsorgemaßnahmen

 

Rz. 293

Die elterliche Personensorge umfasst auch die Aufgabe, das Kind an die Gefahren des Alltags Stück für Stück heranzuführen (vgl. § 1631 Abs. 1, 1626 Abs. 2 BGB). Aus unsorgfältigem Gefahrenunterricht (z.B. Verkehrsunterricht) lässt sich in der Praxis aber ein haftungsrechtlich relevanter Vorwurf nur selten herauskristallisieren.

 

Rz. 294

Die anzulegenden Maßstäbe sind einem Wandel unterworfen: Das was gestern nicht gefordert werden konnte ist heute selbstverständlich. Wie beim Mitverschulden gilt, dass nicht entscheidend gesetzliche Vorgaben sind, sondern das Sich-Herausbilden der Einsicht, dass bestimmtes Verhalten zur Gefahrenabwehr oder -minimierung doch Sinn macht.[230] Zur Verdeutlichung: Wenn Eltern das Nutzen von Schutzmechanismen (wie Fahrradhelm,[231] Reithelm, Skihelm; Gelenk-/Wirbelschutz beim Skaten oder Wintersport; Schienbeinschoner beim Ballsport) zugunsten von Kindern nicht nachhaltig anmahnen, kann dieses die bei einem anschließenden Schadenfall eintretenden Verletzungen vergrößern.

 

Rz. 295

Gleichwohl bleiben einem schuldunfähigen Kind (je nachdem, ob der Täter mit einem Kfz oder unmotorisiert handelte, ab dem 7. oder dem 10. Lebensjahr) seine Ersatzansprüche ungekürzt erhalten;[232] Eltern handeln i.d.R. nicht im Rahmen eines Sonderrechtsverhältnisses i.S.v. § 254 Abs. 2 S. 2 BGB (siehe dazu Rdn 302 ff.). Zu prüfen ist dann aber eine eigene Verantwortlichkeit nach § 1664 BGB (mit daran anknüpfendem Gesamtschuldnerinnenausgleich zwischen Eltern und Täter; dazu Rdn 343 ff.).

[230] BGH v. 17.6.2014 – VI ZR 281/13 – MDR 2014, 957 = NJ 2014, 391 = NJW 2014, 2493 = NZV 2014, 399 = VersR 2014, 974 = WM 2014, 1979; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 254 BGB Rn 213 ff.
[231] Vgl. OLG Saarbrücken v. 9.10.2007 – 4 U 80/07 – DAR 2008, 210 (Anm. Schubert) = jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3 (Anm. Jahnke) = MDR 2008, 503 = NJW-RR 2008, 266 = NJW-Spezial 2008, 74 = NZV 2008, 202 = OLGR 2008, 131 = VersR 2008, 982; LG Flensburg v. 12.1.2012 – 4 O 265/11 – BeckRS 2014, 08138 (Vorinstanz zu BGH v. 17.6.2014 – VI ZR 281/13 – VersR 2014, 974); LG Krefeld v. 22.12.2005 – 3 O 179/05 – NJW-Spezial 2006, 258 = NZV 2006, 205 (Vorinstanz zu OLG Düsseldorf v. 14.8.2006 – 1 U 9/06 – OLGR 2007, 1 = MDR 2007, 460 = NJW-RR 2006, 1616 = NJW-Spezial 2006, 500 = NZV 2007, 38 [Anm. Kettler] = SP 2006, 413). Siehe auch OLG Celle v. 11.6.2008 – 14 U 179/07 – NJW 2008, 2353 = SP 2008, 315 = VRS 115, 250 (Transportiert eine Mutter ihr Kind ohne Fahrradhelm in einem Kindersitz, handelt sie bislang noch nicht grob fahrlässig). Siehe auch Looschelders, Mitverschulden von Kindern und ihren Eltern bei Unfällen im Straßenverkehr, 5. Düsseldorfer Verkehrsrechtsforum, Düsseldorfer Schriften zum Versicherungsrecht Bd. 29 (2016), S. 26.
[232] Zu vorverlagerten Handlungen siehe ausführlich Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 254 BGB Rn 210 ff. m.w.H.

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