Rz. 749
Da Insassen bei Verkehrsunfällen nach dem 31.7.2002 auch gegenüber Fahrer und Halter des eigenen Fahrzeuges i.d.R. verschuldensunabhängig Ansprüche haben, stellt sich für den eingeschalteten Anwalt verstärkt die Fragen der Interessenkollision (siehe auch § 3 BORA[617]) und der Strafbarkeit i.S.v. § 356 StGB.[618] Das in § 43a Abs. 4 BRAO als anwaltliche Berufspflicht normierte Verbot, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten, geht über die Strafbestimmung des § 356 StGB hinaus.[619]
Rz. 750
Ob ein Anwalt im Anschluss an einen Straßenverkehrsunfall gleichzeitig Fahrer und als Insasse Geschädigte vertreten darf, ist streitig:
▪ | Teilweise wird eine Interessenskollision im Hinblick auf den Direktanspruch (§ 115 VVG) des verletzten Insassen gegen den KH-Versicherer des "eigenen" Fahrzeugsauf den verneint.[620] Daher müssten die Interessen des Fahrers bzw. Halters nicht in die Überlegungen zur Regulierung einbezogen werden und keinen Interessenskonflikt herbeiführen.[621] Das gelte vor allem dann, wenn der Anwalt die potentiellen Mandanten umfassend über ihre Ansprüche belehrt habe und sie ihn gleichwohl ausdrücklich um eine gleichzeitige Vertretung gebeten haben.[622] Allein die abstrakte Möglichkeit, dass im Zuge der Schadensregulierung die Interessen eines der Beteiligten tangiert werden, könne zur Begründung eines Interessenskonfliktes bei dem Anwalt nicht ausreichen. |
▪ | Eine andere Meinung bejaht einen Interessenskonflikt des Anwaltes schon bei einer gleichzeitigen Vertretung von Fahrer/Halter und des im gleichen Auto geschädigten Insassen.[623] Soweit hiervon eine Ausnahme gemacht werden soll, wenn eine Haftung des "eigenen" Fahrzeugs offensichtlich ausscheide,[624] ist das eher theoretischer Natur, da die Einstandspflicht gegenüber Fahrzeuginsassen selbst bei einem für den Autofahrer unabwendbaren Ereignis besteht. An dem Interessenskonflikt ändert auch die Vereinbarung des Anwaltes mit den verletzten Insassen nichts, nur gegen den weiteren Unfallbeteiligten vorzugehen. Höfle[625] und Kääb[626] betonen, dass im Berufsrecht mit der Rechtspflege primär ein für die Parteien nicht disponibles Rechtsgut geschützt wird. Das Vertrauen darin wird bei jedem anwaltlichen Interessenskonflikt erschüttert, der bei gleichzeitiger Vertretung von Fahrer/Halter und Fahrzeuginsassen gegeben ist.[627] Der vom Fahrer/Halter mandatierte Anwalt könnte versucht sein, dessen (Mit-)Haftung begründende Umstände nicht offenzulegen, was sich im Endeffekt zu Lasten des ebenfalls vertretenen Insassen auswirken würde.[628] |
▪ | Übernimmt der Anwalt zugleich die Vertretung der beiden Unfallbeteiligten, geht es nicht nur um einen im Zuge des Gesamtschuldnerausgleiches nach § 426 BGB erst in Zukunft entstehenden Interessenskonflikt. Neben den Fragestellungen der Mithaftung, von denkbaren Regressen gegen den Fahrer, dessen SFR-Rabattbelastung,[629] fehlendem Versicherungsschutz und nicht ausreichender Deckungssumme ist auch die Frage nach der Regulierungsbereitschaft und -willigkeit des anderen Schädigers bzw. seines Versicherers (vor allem bei Beteiligung ausländischer Fahrzeuge) zu stellen. Dies zeigt, dass die Frage, ob man gegen den Halter/Fahrer des "eigenen" Fahrzeugs oder aber gegen den weiteren Unfallbeteiligten vorgeht, eine Weichenstellung von großer wirtschaftlicher Bedeutung für beide Mandanten darstellt. |
▪ | Die zu fordernde Ablehnung des Anwaltes, gleichzeitig das schädigende Elternteil und das als Insasse geschädigte Kind zu vertreten, wird gerade bei klarer Haftung des zweiten beteiligten Fahrzeugs bei den Eltern des Kindes nicht sofortiges Verständnis wecken.[630] Gleichwohl darf das Vertrauens der Allgemeinheit in die Rechtspflege nicht gefährdet werden.[631] |
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