Rz. 1076

Der Abfindungsvergleich wird nicht dadurch hinfällig, dass sich der Gesundheitszustand des Geschädigten zum Positiven oder Negativen verändert. Auch Fehleinschätzungen für die Zukunft gehören zur Natur eines Risikovergleiches.[948] Ebenso wenig wie bei Verbesserung gegenüber seiner eingeschätzten Situation der Geschädigte an den Ersatzleistenden nichts zurückzahlen muss, hat der Ersatzpflichtige nachzulegen, wenn sich die künftige Entwicklung schlechter darstellt als vom Geschädigten erwartet. Enthält eine Abfindungserklärung eine umfassende Abgeltungsklausel, ist grundsätzlich jede Nachforderung auch für unvorhergesehene Schäden ausgeschlossen.[949]

 

Rz. 1077

Wagner[950] führt zutreffend aus (siehe auch Rdn 1115):

Zitat

"Die Kapitalabfindung trägt unvermeidlich vergleichsähnliche Züge; sie soll und kann die zukünftige Entwicklung gar nicht mit Präzision vorwegnehmen, sondern ihr Zweck ist es, die Höhe der Entschädigung hic et nunc mit Verbindlichkeit für alle Beteiligten festzulegen. Die damit verbundenen Unsicherheiten muss der Geschädigte in Kauf nehmen, wenn er sein Wahlrecht zugunsten der Kapitalabfindung ausübt.[951]"

Schließlich müssen sich die Vertreter der Gegenauffassung fragen lassen, auf welche Weise Entwicklungen zu berücksichtigen wären, die nicht eine höhere Abfindung ergäben, sondern zu einer Verminderung der Rente und damit des Kapitalbetrags führten. Sollte der Geschädigte in einem solchen Fall verpflichtet sein, einen Teil des vor Jahr und Tag vereinnahmten Kapitals wieder zurückzuzahlen? Wäre dem so, würde die Kapitalabfindung einer ihrer wesentlichen Funktionen beraubt, nämlich dem Geschädigten eine Geldsumme in die Hand zu geben, über die er sofort disponieren kann, um sich eine eigene Existenz aufzubauen. Umgekehrt hat der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer ein berechtigtes Interesse daran, die Bücher nach Auszahlung der Kapitalsumme endgültig zu schließen.“

 

Rz. 1078

Es entspricht dem Wesen eines Abfindungsvergleiches, dass bei ihm Leistung und Gegenleistung nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (wie z.B. bei einem Kauf oder der Miete) stehen. Daher können Äquivalenzstörungen nicht [jedenfalls nicht ohne weiteres] die Abänderung des Vergleiches rechtfertigen.[952]

 

Rz. 1079

Das OLG Dresden[953] betont, dass Fehleinschätzungen im Rahmen von Abfindungsvereinbarungen grundsätzlich im Risiko der Vertragsparteien stehen. Das OLG Dresden führt aus:

Zitat

"Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit der in einem Vergleich getroffenen Regelungen – namentlich eines insoweit bedeutsamen krassen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung – ist nicht das Verhältnis des Wertes der beiderseits übernommenen Verpflichtungen, sondern das beiderseitige Nachgeben gegeneinander abzuwägen. Maßgeblich ist, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Vergleichsabschluss eingeschätzt haben und in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Bereinigung des Streitfalles gegenseitig nachgegeben haben.[954] Eine Nichtigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB setzt neben einem – regelmäßig bei einer Abweichung um 100% oder mehr anzunehmenden[955] - auffälligen Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen (hier des beiderseitigen Nachgebens) die Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche des anderen Beteiligten voraus.[956] Aber auch dann, wenn nicht alle Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB vorliegen, kann in der Gesamtschau eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wobei allerdings aus dem Vorliegen des einen oder anderen Wuchermerkmals i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB nicht ohne weiteres auf eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB geschlossen werden darf; insbesondere reicht ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung allein nicht aus, müssen vielmehr weitere sittenwidrige Umstände wie etwa eine – bei einem besonders groben Missverhältnis indes ggf. vermutete – verwerfliche Gesinnung oder das Ausnutzen der schwächeren Lage des anderen hinzukommen.[957]"

Bei Haftpflichtvergleichen ist eine Nichtigkeit nach § 138 BGB in aller Regel nur ausnahmsweise denkbar.[958] Dies ergibt sich vor allem aus Folgendem: Nach der Rechtsprechung kommt es für die Bewertung eines etwaigen Missverhältnisses darauf an, wie bei ex ante-Betrachtung der Umfang des gegenseitigen Nachgebens war, d.h. es kommt darauf an, welche Forderungen in welcher Höhe die Klägerin geltend gemacht hatte bzw. mit welchen Forderungen die Beklagte zumindest auf der Grundlage der ihr vorliegenden Unterlagen rechnen musste.[959] Nicht zulässig ist es hingegen, ungeachtet ihrer Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit all diejenigen Forderungen der Vergleichssumme gegenüberzustellen, die sich im Nachhinein ergeben haben oder im Nachgang behauptet werden um daraus ein besonders hohes Äquivalenzmissverhältnis und daraus folgend die Vermutung für eine Sittenwidrigkeit abzuleiten. Im Prozess kann die Klägerseite bei der Ermittlung eines Missverhältnisses nicht...

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