Rz. 278

Verkehrssicherungspflichten können sich aus der Übernahme einer Aufgabe oder kraft Berufs ergeben.[621] Nach der Rechtsprechung müssen bestimmte Berufszweige, die zwar keine spezifische Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit haben, für die aber der sorgsame Umgang mit fremden Rechtsgütern charakteristisch ist, auch ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung zum Schutz der Rechtsgüter der geschäftlich mit ihnen in Verbindung tretenden Personen tätig werden. Allgemein sind bei der Ausübung eines Gewerbes diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind.[622] Haftungsgrund ist das Vertrauen in die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten der Berufsträger, das dazu führt, dass der Betroffene seine Maßnahmen zum Selbstschutz verringert.[623] So haften Architekten und Bauleiter nicht nur ihren Vertragspartnern gegenüber für fehlerhafte Bauausführung, sondern nach § 823 Abs. 1 BGB auch gegenüber Dritten, denen hieraus Schäden entstehen.[624] Ebenso sind Bauunternehmer deliktsrechtlich zur Verkehrssicherung gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen.[625] Tiefbauunternehmer, die Baggerarbeiten ausführen, müssen sich eingehend nach der Lage der Kabel erkundigen, die beim Aufbaggern beschädigt werden können.[626] Auch der Inhaber einer Werkstatt ist deliktsrechtlich verantwortlich, wenn er Sachen fehlerhaft repariert und dadurch Rechtsgüter Dritter gefährdet.[627] Schließlich trifft auch den Reiseveranstalter eine eigene Verkehrssicherungspflicht, ein Vertragshotel regelmäßig durch einen sachkundigen und pflichtbewussten Beauftragten auf die Einhaltung des Sicherheitsstandards zu überprüfen.[628] Die Gegenauffassung qualifiziert die berufliche Rolle nicht als Pflichten begründendes, sondern als Pflichten verstärkendes Merkmal.[629]

 

Rz. 279

Die Haftung wegen der Übernahme einer Aufgabe ist nicht auf Berufsträger beschränkt. Wer die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht eines anderen übernimmt, wird seinerseits deliktisch verantwortlich, und zwar auch dann, wenn ein Vertrag über die Übernahme nicht wirksam zustande kommt. Voraussetzung ist lediglich, dass die Übertragung klar und eindeutig vereinbart wird.[630] Es entsteht eine eigene ­Verkehrssicherungspflicht des Übernehmenden, wenn der in die Verkehrssicherungspflicht Eintretende faktisch die Verkehrssicherung für den Gefahrenbereich übernimmt und, weil sich der primär Verkehrssicherungspflichtige auf das Tätigwerden des Beauftragten verlässt, Schutzvorkehrungen durch jenen unterbleiben. Die Verkehrssicherungspflichten des ursprünglich Verantwortlichen verkürzen sich dann auf Kontroll- und Überwachungspflichten.[631] So haftet etwa derjenige, der für den Vermieter die Erfüllung der Räum- und Streupflicht übernommen hat.[632] Auch durch Rechtsvorschriften, wie kommunale Satzungen, kann die Verkehrssicherungspflicht übertragen werden (vgl. Rdn 311).

[621] BGH, Urt. v. 28.4.1953 – I ZR 47/52, BGHZ 9, 301 (307); BGH, Urt. v. 14.10.1969 – VI ZR 55/68, NJW 1970, 95 (96); BGH, Urt. v. 10.3.1977 – VII ZR 278/75, BGHZ 68, 169, (175 f.).
[623] BeckOGK/Spindler, BGB, § 823 Rn 394; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn 420; Staudinger/Hager, § 823 Rn E 21.
[624] BGH, Urt. v. 10.3.1977 – VII ZR 278/75, BGHZ 68, 169 (175 f.); v. 6.10.1970 – VI ZR 223/69, NJW 1970, 2290 (2291); BGH, Urt. v. 28.10.1986 – VI ZR 254/85, NJW 1987, 1013; BGH, Urt. v. 13.3.2007 – VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn 12.
[625] BGH, Urt. v. 13.2.1990 – VI ZR 354/88, NJW-RR 1990, 726; BGH, Urt. v. 15.12.1992 – VI ZR 115/92, NJW 1993, 655; BGH, Urt. v. 12.11.1996 – VI ZR 270/95, NJW 1997, 582; OLG Koblenz, Urt. v. 18.8.1998 – 3 U 713/95, NJW-RR 1999, 1617.
[626] BGH, Urt. v. 20.4.1971 – VI ZR 232/69, NJW 1971, 1313 (1314); BGH, Urt. v. 9.11.1982 – VI ZR 129/81, VersR 1983, 152; BGH, Urt. v. 9.7.1985 – VI ZR 118/84, VersR 1985, 1147; BGH, Urt. v. 21.11.1995 – VI ZR 31/95, 1996, 387; OLG Köln, Urt. v. 2.10.1985 – 13 U 27/85, VersR 1987 513; OLG Köln, Urt. v. 20.12.1991 – 19 U 98/91, VersR 1992, 335 (336); OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.12.1991 – 22 U 134/91, VersR 1993, 106 (107).
[627] BGH, Urt. v. 4.3.1971 – VII ZR 40/70, BGHZ 55, 392 (395 f.); BGH, Urt. v. 15.12.1992 – VI ZR 115/92, NJW 1993, 655 (656).
[629] BeckOGK/Spindler, BGB, § 823 Rn 394 f.; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn 420; Larenz/Canaris, § 76 III 3b.

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