Rz. 285

Die Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrskreises.[644] Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.[645] Es gilt daher ein objektivierter Maßstab.[646] Höherwertige Rechtsgüter erfordern erhöhte Anstrengungen, weshalb Leben und Gesundheit i.d.R. stärker zu schützen sind als das Eigentum.[647] Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ist umso strenger, je weniger bestimmte Gefahren erkennbar sind, insbesondere wenn die Verkehrsteilnehmer gar von Gefahrlosigkeit ausgehen dürfen. Sicherungsmaßnahmen sind umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind.[648] Typische Gefahrensituationen mit schweren Schadensfolgen hat der Verkehrssicherungspflichtige auch dann zu begegnen, wenn sie selten eintreten.[649] Maßstab ist die schutzbedürftigste Gruppe.[650] So richtet sich das auf Spielplätzen einzuhaltende Ausmaß an Sicherheit nach dem Alter der jüngsten Kinder, die für die Benutzung infrage kommen (vgl. Rdn 413). Auch darf der Verkehr erwarten, dass der Betreiber eines Supermarkts schon bei der Auswahl der Bodenbeläge berücksichtigt, dass Gedränge herrschen kann und dass die Kunden durch Auslagen und Verkaufsstände abgelenkt werden und daher nicht ständig auf die Bodenbeschaffenheit achten.[651] Die Organisatoren einer Massenveranstaltung sind verpflichtet, das Erforderliche für die Sicherheit der Benutzer zu veranlassen. Diese Pflicht besteht nicht nur in Bezug auf Gefährdungen durch die Veranstaltung selbst, sondern erstreckt sich auch auf die Sicherung des Zu- und Abgangs der Besucher zum und vom Veranstaltungsort vor Gefahren aus der Leitung des Besucherstroms.[652]

[644] BeckOGK/Spindler, BGB, § 823 Rn 397; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn 427.
[646] BeckOGK/Spindler, BGB, § 823 Rn 397; MüKoBGB/Wagner, § 823 Rn 428.
[647] BGH, Urt. v. 8.2.1972 – VI ZR 155/70, BGHZ 58, 149 (156).
[649] BGH, Urt. v. 17.10.1989 – VI ZR 258/88, NJW 1990, 906 (907).
[650] BGH, Urt. v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338 (340).
[652] BGH, Urt. v. 21.11.1989 – VI ZR 236/89, NJW 1990, 905 – Adventsfeier für ältere Leute in einer Veranstaltungshalle.

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