Rz. 90

BGH, Urt. v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, zfs 2007, 206

Zitat

EWG-VO 1408/71 Art. 13, 14, 93; SGB VII § 105

Zur Frage der Haftungsbefreiung bei Arbeitsunfällen, an denen ein Arbeitnehmer beteiligt ist, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt oder dessen Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat seinen (Wohn-)Sitz hat.

1. Der Fall

 

Rz. 91

Am 29.9.1998 befuhr der Landwirt G. F. mit seiner bei der Klägerin haftpflichtversicherten landwirtschaftlichen Zugmaschine eine Kreisstraße. Der Beklagte zu 1 geriet am selben Tag zu einem späteren Zeitpunkt mit dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Kleinbus, der mit sieben Bauarbeitern besetzt war, auf der verschmutzten Fahrbahn ins Schleudern. Der Kleinbus rutschte von der Straße ab und überschlug sich. Ob die Verschmutzungen durch den Landwirt G. F. verursacht worden waren, war zwischen den Parteien streitig. Die Bauarbeiter kamen von einer Baustelle in D., ihrer Arbeitsstätte. Unter ihnen befand sich der österreichische Staatsbürger G. (nachfolgend: der Geschädigte), der nicht angegurtet war und schwer verletzt wurde. Wegen der Unfallfolgen erhielt der Geschädigte Leistungen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in Graz/Österreich (AUVA) sowie der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, bei denen er versichert war.

 

Rz. 92

Die Klägerin regulierte insgesamt Schadensersatzansprüche des Geschädigten in Höhe von ca. 90.000 EUR. Soweit Ansprüche von der AUVA und der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse unter Berufung auf den Übergang der Schadensersatzansprüche geltend gemacht wurden, glich sie diese in entsprechender Höhe gegenüber diesen aus. Die Klägerin begehrte von den Beklagten Ausgleich unter Gesamtschuldnern für die Haftung aus dem Verkehrsunfall.

 

Rz. 93

Die Beklagten behaupteten, der Beklagte zu 1 und der Geschädigte seien Arbeitskollegen gewesen, die sich auf dem Weg zum Firmensitz ihres inländischen Arbeitgebers in S. befunden hätten. Dagegen wurde von der Klägerin vorgetragen, der Geschädigte sei von seinem österreichischen Arbeitgeber zu den Bauarbeiten nach Deutschland entsandt worden.

 

Rz. 94

Die Klägerin bewertete die Betriebsgefahr des Traktors mit 30 % und verlangte mit ihrer Klage von den Beklagten 70 % ihrer Aufwendungen. Sie begehrte zudem die Feststellung, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet seien, 70 % des zukünftigen Schadens aus dem Unfallereignis zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen seien. Die Klage hatte vor dem Berufungsgericht nur zum Teil Erfolg (gegen die Beklagte zu 2 zu 25 % und Klageabweisung gegen den Beklagten zu 1). Mit der vom BGH zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihre Klageziele in vollem Umfang weiter.

2. Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 95

Das Berufungsgericht war der Ansicht, die Beklagte zu 2 hafte lediglich im Umfang eines in einem Schreiben abgegebenen Anerkenntnisses, 25 % des Schadens zu übernehmen. Darüber hinaus stehe der Klägerin kein Anspruch auf Haftungsausgleich gemäß § 426 BGB gegenüber den Beklagten zu, weil es sich bei der Fahrt von der Baustelle zum Firmensitz des Arbeitgebers um einen Arbeitsunfall auf einem Betriebsweg gehandelt habe und demzufolge die Haftung des Beklagten zu 1 gegenüber dem Geschädigten nach § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei. Deshalb hafte auch die Beklagte zu 2 nicht nach § 3 PflVG.

 

Rz. 96

Daran ändere auch Art. 93 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nichts. Nach der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 2.6.1994 (EuGH, Rs. C-428/92, Slg. 1994, I-2259 = JZ 1994, 1113) ändere Art. 93 Abs. 1 der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nicht die Vorschriften, nach denen die außervertragliche Haftung des schadensverursachenden Dritten eintrete. Diese unterliege dem Recht desjenigen (Mitglieds-)Staates, in dessen Gebiet der Schaden entstanden sei. Das sei die Bundesrepublik Deutschland, nach deren Recht, hier nach § 105 Abs. 1 SGB VII, der Beklagte zu 1 nicht hafte.

 

Rz. 97

Das Berufungsurteil hielt einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

 

Rz. 98

Die Revision rügte mit Erfolg, das Berufungsgericht habe aufgrund unzureichender Sachverhaltsaufklärung und irriger Rechtsauffassung die Haftungsprivilegierung des Beklagten zu 1 bejaht und deshalb einen Ausgleichsanspruch, der über die von der Beklagten zu 2 anerkannte Haftung von 25 % hinausgehe, zu Unrecht verneint.

 

Rz. 99

Bei Berücksichtigung des Klägervortrags war fraglich, ob die Voraussetzungen einer Haftungsprivilegierung für den Beklagten zu 1 gegeben waren. Das setzt die Anwendbarkeit deutschen Rechts voraus. Diese wurde vom Berufungsgericht bejaht, weil sich der Unfall auf der Fahrt zum inländischen Firmensitz des gemeinsamen Arbeitgebers des Beklagten zu 1 und des Geschädigten ereignet habe. Indessen hatte die Klägerin – wie die Revision zutreffend geltend machte – in den Tatsacheninstanzen vorgetragen, der österreichische Dienstgeber des Geschädigten habe Beiträge an den österreichischen Unfallversicherungsträger abgeführt. Das Berufungsgericht hätte gemäß § 286 ZPO diesen Vortrag berücks...

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