Rz. 374

Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil eine – aus seiner Sicht mit Recht nicht näher geprüfte – Haftung der Beklagten aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht weder wegen des Bestehens einer gemeinsamen Betriebsstätte zwischen der Beklagten und dem Kläger noch nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen war.

 

Rz. 375

Soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten für eigenes Tun oder Unterlassen gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII als ausgeschlossen ansah, weil das Haftungsprivileg nicht nur für die Mitarbeiter des Unternehmers, sondern auch für den Unternehmer selbst gelte, entsprach dies bereits im Ansatz nicht der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Nach gefestigter Rechtsprechung kommt dieses Haftungsprivileg nur dem versicherten Unternehmer zu Gute, der selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine vorübergehende betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt (vgl. Senatsurt. BGHZ 148, 209, 212 f.; 148, 214, 216 ff.; 155, 205, 209; 157, 9, 14; 157, 213, 216; 177, 97 Rn 11; v. 14.6.2005 – VI ZR 25/04, VersR 2005, 1397, 1398). Demnach bestand eine Haftungsprivilegierung der Beklagten schon deswegen nicht, weil nach dem festgestellten Sachverhalt die Schädigung des Klägers nicht durch ein selbst auf der Betriebsstätte tätiges Organ der Beklagten erfolgt ist.

 

Rz. 376

Mithin kam nur eine Haftungsbefreiung der Beklagten nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses in Betracht. Eine solche war schon deswegen nicht gegeben, weil weder eine gemeinsame Betriebsstätte zwischen dem Kläger und den mit dem Winterdienst beauftragten Mitarbeitern der Streithelfer noch eine solche zwischen dem Kläger und Mitarbeitern der Beklagten bestanden hat, die möglicherweise den Streithelfer nicht rechtzeitig beauftragt haben.

 

Rz. 377

Nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (st. Rspr.: vgl. etwa Senatsurt. BGHZ 61, 51, 55; 94, 173, 176; 155, 205, 212 ff.; 157, 9, 14; vom 13.3.2007 – VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn 19; v. 22.1.2008 – VI ZR 17/07, VersR 2008, 642 Rn 11). In solchen Fällen hat der Senat den Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinweg denkt, wobei unter "Verantwortungsteil" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen ist (vgl. Senatsurt. BGHZ 110, 114, 119; 155, 205, 213; 157, 9, 14 f.; v. 13.3.2007 – VI ZR 178/05, a.a.O.; v. 22.1.2008 – VI ZR 17/07, a.a.O.). In Anwendung dieser Grundsätze konnte eine Haftung aus dem Gesichtspunkt des gestörten Gesamtschuldverhältnisses nur entfallen sein, wenn zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern der mit dem Winterdienst beauftragten Firma oder Mitarbeitern der Beklagten eine gemeinsame Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII bestanden hätte.

 

Rz. 378

Dies war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht der Fall.

Der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte erfasst betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgte. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (vgl. Senatsurt. BGHZ 145, 331, 336; 155, 205, 207 f.; 157, 213, 216 f.; 177, 97 Rn 19 m.w.N.). § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn zwei Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinander treffen. Eine "gemeinsame" Betriebsstätte ist nach allgemeinem Verständnis mehr als "dieselbe" Betriebsstätte; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten des Schädigers und des Geschädigten in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als "gemeinsame" Bet...

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