Rz. 291

Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

 

Rz. 292

Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine Haftung der Insolvenzschuldnerin bestehe, war nicht zu beanstanden.

 

Rz. 293

Der BGH hat wiederholt entschieden, dass eine Haftung des mit der örtlichen Bauaufsicht bzw. Bauleitung beauftragten Architekten wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (§ 823 Abs. 1 BGB) in Betracht kommt. Mit der Übernahme einer solchen Aufgabe trifft auch den Architekten die Pflicht, nicht nur seinen Auftraggeber, sondern auch Dritte vor Schäden zu bewahren, die im Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks entstehen können. Im Regelfall braucht der Architekt zwar nur diejenigen Verkehrssicherungspflichten zu beachten, die dem Bauherrn als dem mittelbaren Veranlasser der aus der Bauausführung fließenden Gefahren obliegen. In erster Linie ist der Unternehmer verkehrssicherungspflichtig. Er hat für die Sicherheit der Baustelle zu sorgen; Unfallverhütungsvorschriften wenden sich nur an ihn. Selbst verkehrssicherungspflichtig wird der mit der örtlichen Bauaufsicht bzw. Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragte Architekt aber, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahrenquellen erkannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. Er muss auf Gefahren achten und darf seine Augen nicht verschließen, um auf diese Weise jeglichem Haftungsrisiko aus dem Wege zu gehen. Neben dieser so genannten "sekundären" Verkehrssicherungspflicht, die sich grundsätzlich darauf beschränkt, erkannte oder erkennbare baustellentypische Gefahrenstellen zu beseitigen, treffen den bauleitenden Architekten "primäre" Verkehrssicherungspflichten, wenn er selbst Maßnahmen an der Baustelle veranlasst, die sich als Gefahrenquelle erweisen können, sei es, dass die Auftragserteilung schon unmittelbar Gefahren für andere begründen kann oder dass solche Gefahren nicht von vornherein ausgeschlossen sind.

 

Rz. 294

Nach diesen Grundsätzen konnte das Berufungsgericht aufgrund der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung des Einzelfalls ohne Rechtsfehler annehmen, dass die von der Insolvenzschuldnerin eingesetzte Bauleiterin eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte. Diese wusste seit dem Tag vor dem Unfall, dass die Firma H. GmbH das Dach der "Tonne 4" nicht vollständig verschalen konnte und somit ein Loch in der Decke verblieben war. Zudem musste sie nach ihrem eigenen Telefaxschreiben an die D. GmbH damit rechnen, dass die Abbrucharbeiten am benachbarten Haus 3 vor der von ihr angeordneten Fertigstellung der Verschalung beginnen würden. Unter diesen Umständen war die Auffassung des Berufungsgerichts, die Bauleiterin hätte erkennen können, dass eine erhöhte Gefahrenlage bestand, weil sich Arbeiter eines anderen Unternehmens auf dem noch nicht fertig gestellten Dach der "Tonne 4" bewegen könnten, nicht zu beanstanden. Es steht insbesondere in Einklang mit der oben dargestellten Rechtsprechung, in einem solchen Fall eine eigene Verkehrssicherungspflicht der bauleitenden Architektin anzunehmen, weil diese am besten die Zusammenhänge überschauen konnte. Im Streitfall hatte sich nämlich eine im Zusammenhang mit einer Baustelle oft gegebene Gefahren- und Haftungssituation verwirklicht, die dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Vielzahl von Personen bei der Errichtung des Bauprojekts tätig ist. Die aus diesem Ablauf und der Verkettung der Vorgänge resultierenden Gefahren zu beherrschen, ist in erster Linie Aufgabe der Planung und der Bauleitung, die hier bei der Zeugin S. lag.

 

Rz. 295

Zudem ergibt sich die Verletzung einer "primären" Verkehrssicherungspflicht der Zeugin S. daraus, dass sie durch ihre Mitteilung an die Firma D. GmbH, die Abriss- und Entkernungsarbeiten an "Haus 3" könnten ab dem 8.9.1999 beginnen, und der Vorgabe an die Firma H. GmbH, das Dach der "Tonne 4" sei bis zum 10.9.1999 fertigzustellen, Maßnahmen an der Baustelle veranlasst hat, die erkennbar eine Gefahrenquelle dargestellt haben.

 

Rz. 296

Das Berufungsgericht konnte der Insolvenzschuldnerin auch das Verhalten ihrer Bauleiterin zurechnen. Entgegen seiner Auffassung ergibt sich eine Verantwortlichkeit der Insolvenzschuldnerin für das Verhalten der Bauleiterin bei der hier vorliegenden Verkehrssicherungspflichtverletzung zwar nicht aus § 278 BGB. Eine Haftung ergibt sich aber aus §§ 831, 823 BGB. Hierauf weist auch die Revision hin, die selbst davon ausgeht, dass der Entlastungsbeweis nicht geführt worden ist.

 

Rz. 297

Eine Haftung der Insolvenzschuldnerin war auch nicht wegen des Vorliegens einer gemeinsamen Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ausgeschlossen.

 

Rz. 298

Insoweit war nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht nicht geprüft hatte, ob die Insolvenzschuldnerin nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII unmittelbar haftungsprivilegiert war. Eine Haftungsfreistellung nach dieser N...

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