Rz. 221

Nach Auffassung des Berufungsgerichts konnte die Klägerin von den Beklagten gemäß § 823 BGB, § 116 SGB X Schadensersatz auf der Grundlage einer Haftungsquote von 60 % verlangen. Die Beklagten hätten es pflichtwidrig unterlassen, für eine ordnungsgemäße Absturzsicherung zu sorgen. Ein Verstoß gegen § 12 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift Bauarbeiten BGV C 22 stehe fest. An der Unfallstelle seien weder eine Absturzsicherung noch Fangeinrichtungen angebracht worden. Dafür hafteten die Beklagten. Zwar sei in erster Linie der Unternehmer für die Sicherheit der Baustelle verantwortlich. Der mit der Bauüberwachung beauftragte Architekt werde aber dann verkehrssicherungspflichtig, wenn er Gefahrenquellen erkannt habe oder bei gewissenhafter Beachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. Solche sekundären Verkehrssicherungspflichten hätten die Beklagten verletzt. Denn der Beklagte zu 2 habe die Arbeiten zugelassen, obwohl er gewusst habe, dass keine Absturzsicherung vorhanden gewesen sei. Es sei nicht ausreichend gewesen, die Streithelferin lediglich auf die fehlende Absturzsicherung hinzuweisen. Die Beklagten hätten die erkannte Gefahrenquelle vielmehr beseitigen müssen. Sie hätten entweder für die Errichtung einer Absturzsicherung oder für ein Verbot der Baumaßnahmen an den entscheidenden Stellen sorgen müssen. Dafür, dass diese Pflichtverletzung für den Sturz des Geschädigten kausal geworden sei, spreche der Beweis des ersten Anscheins, den die Beklagten nicht erschüttert hätten.

 

Rz. 222

Die Haftung der Beklagten sei nicht gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ausgeschlossen, da eine gemeinsame Betriebsstätte nicht gegeben sei. Auch die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldverhältnisses seien nicht zu berücksichtigen. Zwar sei die Streithelferin ebenfalls verkehrssicherungspflichtig gewesen. Sie habe mit Aufnahme der Elektroarbeiten eine Baustelle eröffnet und deshalb im gleichen Maße die Unfallverhütungsvorschriften beachten müssen. Auch greife zugunsten der Streithelferin die Haftungsprivilegierung des § 104 Abs. 1 SGB VII. Die Haftung des Entleihers für Arbeitsunfälle des Leiharbeitnehmers sei in derselben Weise beschränkt wie die Haftung des Stammunternehmers. Denn auch ein Leiharbeitnehmer werde für das Unternehmen des Entleihers tätig. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die Streithelferin im Falle einer Inanspruchnahme gemäß den §§ 110, 111 SGB VII den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen hafte. Denn sie habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Die Gefahr eines Sturzes sei offenkundig gewesen. Dass sie gleichwohl sehenden Auges mit den Arbeiten begonnen habe, sei subjektiv unentschuldbar und in hohem Maße pflichtwidrig. Danach hafteten die Beklagten als Gesamtschuldner, wobei ein Mitverschulden des Geschädigten in Höhe von 30 % zu berücksichtigen sei, weil er sich trotz fehlender Absturzsicherung in den Gefahrenbereich begeben habe.

 

Rz. 223

Diese Erwägungen hielten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

 

Rz. 224

Das Berufungsgericht hatte allerdings zu Recht angenommen, dass dem Versicherten R. aufgrund seines Sturzes ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 2 aus § 823 Abs. 1 BGB erwachsen ist.

 

Rz. 225

Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war R. infolge des Fehlens einer ordnungsgemäßen Absturzsicherung von der oberen Ebene der Halle auf den Betonfußboden der 2,68 m tiefer liegenden unteren Ebene gefallen und hatte sich schwerste Verletzungen zugezogen.

 

Rz. 226

Die Revision wandte sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagte zu 2 ihm gegenüber R. obliegende Verkehrssicherungspflichten verletzt hatte.

 

Rz. 227

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft den mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragten Architekten die Pflicht, nicht nur seinen Auftraggeber sondern auch Dritte, die sich befugt auf der Baustelle aufhalten, vor Schäden zu bewahren, die im Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks entstehen können. Im Regelfall braucht der Architekt allerdings nur diejenigen Verkehrssicherungspflichten zu beachten, die dem Bauherrn als dem mittelbaren Veranlasser der aus der Bauausführung fließenden Gefahren obliegen; ihn treffen im Allgemeinen nur sog. sekundäre Verkehrssicherungspflichten. Primär verkehrssicherungspflichtig ist der Unternehmer. Er hat für die Sicherheit der Baustelle zu sorgen. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die die im konkreten Fall zu beachtenden Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheitsmaßnahmen konkretisieren (vgl. Senatsurt. v. 13.3.2001 – VI ZR 142/00, VersR 2001, 1040, 1041), wenden sich nur an ihn. Sie sollen die Versicherten vor den typischen Gefährdungen des jeweiligen Gewerbes schützen (vgl. Senatsurt. v. 30.1.2001 – VI ZR 49/00, VersR 2001, 985, 986; v. 8.1.2002 – VI ZR 364/00, VersR 2002, 330, 331). Diesen...

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