Rz. 59

Bei der Abgrenzung von Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) zu Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 InsO) ist die Insolvenzeröffnung der entscheidende Stichtag. Bei Nachteilsausgleichsansprüchen ist daher darauf abzustellen, ob mit der Durchführung einer Betriebsänderung der spätere Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung – dann: Insolvenzforderung – oder der endgültige Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung – dann: Masseverbindlichkeit – begonnen hat.[52] Dem letzteren Fall steht es gleich, wenn der "starke" vorläufige Insolvenzverwalter nach seiner Bestellung mit der Durchführung einer Betriebsänderung vor Durchführung der Interessenausgleichsverhandlung beginnt.

 

Rz. 60

Aus welchen Handlungen des Verwalters Verbindlichkeiten folgen, ist nicht in § 55 InsO geregelt, sondern ergibt sich aus anderen Vorschriften. Gemäß § 113 BetrVG begründet das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Insolvenzverwalters einen Anspruch auf Nachteilsausgleich, wenn der Verwalter nach Verfahrenseröffnung von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht (§ 113 Abs. 1 BetrVG) oder eine nach § 111 BetrVG geplante Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben (§ 113 Abs. 3 BetrVG). In diesen Fällen löst auch kein Unterlassen, sondern die betriebsverfassungswidrige Handlung des Verwalters die Masseschuld aus. Ebenso spricht der Verweis der Revision auf § 122 InsO nicht gegen, sondern für einen Nachteilsausgleichsanspruch, wenn der Insolvenzverwalter eine geplante Betriebsänderung ohne den nach § 111 Satz 1 BetrVG gebotenen Versuch eines Interessenausgleichs durchführt.[53]

 

Rz. 61

Im Falle der Masseunzulänglichkeit sind die Nachteilsausgleichsansprüche Altmasseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn der Insolvenzverwalter die interessenausgleichspflichtigen Kündigungen bereits vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit ausgesprochen hat; sie sind Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 ­InsO, wenn er dies danach getan hat.[54]

 

Rz. 62

Das BAG hat zum Nachteilsausgleich bei Betriebsstilllegung nachAnzeige der Masseunzulänglichkeit durch einen Insolvenzverwalter entschieden:[55]

Zitat

"Begründet ein Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch betriebsverfassungswidriges Verhalten Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG, handelt es sich um Neumasseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sie können regelmäßig im Wege der Leistungsklage verfolgt werden. Ein Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter beginnt durch die widerrufliche Freistellung der Arbeitnehmer noch nicht mit der Durchführung einer beabsichtigten Betriebsstilllegung."

 

Rz. 63

 

Hinweis

Bezifferte Schadensersatzansprüche gegen den Insolvenzverwalter, der Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, können erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durchgesetzt werden, weil erst dann feststeht, ob und in welcher Höhe ein Schaden durch Forderungsausfall entstanden ist.[56]

[52] LAG Hamm v. 26.8.2004 – 4 Sa 1853/03, EzA-SD 2004, Nr. 24 S. 14 = LAGReport 2005, 242.
[54] LAG Hamm v. 26.8.2004 – 4 Sa 1853/03, EzA-SD 2004, Nr. 24 S. 14 = LAGReport 2005, 242.
[56] LAG Baden-Württemberg v. 22.7.2004 – 11 Sa 106/03, LAGE § 113 BetrVG 2001 Nr. 1.

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