Rz. 322

Auskünfte des Rechtsanwalts zu gemeinschaftlichen Testamenten stellen eine häufige Quelle anwaltlicher Haftung dar. Bestimmungen in einem gemeinschaftlichen Testament sind im Gegensatz zu den Bestimmungen eines Erbvertrages nicht in jedem Fall bindend und unwiderruflich.

 

Rz. 323

Bindung besteht grds. nur bei wechselbezüglichen Verfügungen nach § 2270 BGB. Jedoch enthält ein gemeinschaftliches Testament nicht nur wechselbezügliche Verfügungen. Solche Verfügungen, die nicht wechselbezüglich sind, können dagegen frei widerrufen werden gem. § 2253 ff. BGB. Entgegen der häufig unrichtigen Auskunft können auch grds. bindende wechselbezügliche Verfügungen beseitigt werden. Über die Möglichkeit der Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen muss der Anwalt richtig beraten.

 

Rz. 324

Unterschieden werden muss zwischen zwei Zeitpunkten:

Zu Lebzeiten beider Ehegatten:

1. Möglichkeit: Aufhebung des gemeinschaftlichen Testaments durch beide Ehegatten gemeinsam.[257]
2.

Möglichkeit: Einseitiger Widerruf des wechselbezüglich gemeinschaftlichen Testaments möglich, allerdings bedarf der Widerruf notariell beurkundeter Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten, diese muss in Urschrift oder Ausfertigung zugestellt werden gem. §§ 2271 Abs. 1 S. 1, 2296 Abs. 2 S. 2 BGB. Eine beglaubigte Abschrift genügt nicht.[258] Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament kann auch gegenüber einem testierunfähigen Ehegatten erklärt werden, wenn die Erklärung dem im Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellten Betreuer zugeht, auch wenn dieser ein Abkömmling des Erblassers ist.[259]

Zugang kann grds. nur an den lebenden Erklärungsempfänger erfolgen, ist aber gem. § 130 Abs. 2 BGB auch noch möglich, wenn sich der Widerruf bei dessen Tod bereits auf dem Weg zum Adressaten befand.[260]

Nach dem Tode eines Ehegatten:

Eine Änderung der wechselbezüglichen Verfügungen ist auch nach dem Tod des einen Ehegatten möglich, wenn der überlebende Ehegatte das ihm Zugewendete ausschlägt gem. § 2271 Abs. 2 S. 1, 2. HS. BGB. Selbst wenn die Ausschlagungsfrist (siehe Rdn 321) bereits verstrichen ist, ist eine Anfechtung gem. §§ 2078, 2079 BGB möglich.

 

Rz. 325

Auch innerhalb eines eingeschränkten Mandats muss der Anwalt den Mandanten vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Mandant sich dieser Gefahr nicht bewusst ist. Der um eine Beratung ersuchte Anwalt ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet, sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rats nur in einer bestimmten Richtung bedarf.[261]

 

Rz. 326

Zu einer Haftung des Anwalts kann es kommen, wenn dieser verkennt, dass bei einem Berliner Testament mit Verwirkungsklausel (Pflichtteilsklausel) der Eintritt der auflösenden Bedingung grds. auch nach dem Tod des länger lebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs (siehe Rdn 332 ff.) nach dem Erstverstorbenen herbeigeführt werden kann.[262]

 

Rz. 327

Ein Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt kann sich auch ergeben, wenn dieser nicht umfassend bei einer Testamentserrichtung berät, wodurch es zum Verlust von Gesellschaftsanteilen des Erblassers kommt.[263]

 

Rz. 328

Soll ein Anwalt ein amtlich verwahrtes Testament für den Testator vom Nachlassgericht zurückholen, und wird es ihm wegen § 2256 Abs. 2 S. 2 BGB nicht ausgehändigt (die Aushändigung darf nur an den Testator persönlich erfolgen), so genügt nicht die Mitteilung an den Mandanten, er müsse das Testament selbst abholen. Der Anwalt muss dem Mandanten vielmehr auch raten, dass er das hinterlegte Testament durch Errichtung eines handschriftlichen Testamentes widerrufen kann.[264]

[257] Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 2.
[258] OLG Hamm, Beschl. v. 16.7.1991 – 15 W 133/91 = FamRZ 1991, 1486 = NJW-RR 1991, 1480; Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 5.
[259] OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.6.2013 – 15 W 764/13 = NJW 2013, 2909 = MDR 2013, 1409.
[264] BGH, Beschl. v. 17.12.1998 – IX ZR 270/97 = ZEV 1999, 357; Schneider in: Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, Teil A, § 2 Rn 64.

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